Eine Erscheinung aus der Zukunft
Die erste virtuelle Pop-Ikone hatte den ersten großen Auftritt in Deutschland: Hatsune Miku. Wie die Pokémons stammt sie aus Japan. Was kommt da auf uns zu?
Da steht also niemand wirklich auf der Bühne. Und doch tritt hier ein Star auf. Doch ist es eine Live-Show. Doch gibt es Millionen Fans weltweit. Jetzt könnte man sagen: Klar, Rihanna ist auf Tour oder Jennifer Lopez – bei denen wirkt ein Konzert tatsächlich, als schaute man zusammen einen Film. Oder auch: Das müssen die Rolling Stones sein – die vermarkten ja inzwischen auch das Abspielen eines Mitschnitts von ihrem HavannaKonzert im Frühling demnächst als exklusives Event in ausgewählten Kinos. Nein, es ist noch schlimmer. Aber doch auch viel interessanter.
Es ist Hatsune Miku. Und das ist eine Figur, die aussieht, wie aus einem japanischen Comic entlaufen, den Animes – nun ist sie auch erstmals in Deutschland so was wie leibhaftig erschienen, beim Hamburger Sommerfestival in der KampnagelFabrik: also als dreidimensionale Computer-Projektion. Solche Konzerte von Hologrammen hat es zwar bereits gegeben, Michael Jackson etwa wurde so nach seinem Tod eine Rückkehr auf die Konzertbühne ermöglicht, aber auch Elvis. Basierend auf Mitschnitten früherer Auftritte. Und die Mitglieder der britischen Pop-Band Gorillaz blieben lange im Verborgenen, spielten live hinter einer Sichtschutzwand, und auf der Bühne posten Hologramme von extra entworfenen Comic-Figuren für sie. Der Unterschied zu Hatsune Miku ist: Dahinter steckt überhaupt kein echter Mensch mehr, hinter keiner Wand, vor keinem Tod.
Die Figur, die etwa 16 Jahre alt wirken soll, wurde im Jahr 2007 als Maskottchen einer Firma für Computer-Software vorgestellt, in Japan natürlich, Heimstatt der erweiterten Wirklichkeit, Mutterland der Pokémons. Jene Firma (Crypton) stellte damals ein Programm vor, mit dem sich die menschliche Stimme digital imitieren lässt. Aus der singenden Werbefigur wurde der erste rein virtuelle Popstar der Welt. Irrsinn?
Vielleicht. Aber interessant allemal. Denn während echte Stars ihre Shows abspulen als wären sie programmiert, spricht der programmierte Star live vom Traum, ein echter Mensch zu sein. Im Hintergrund unsichtbar spielt der junge, japanische Star-Komponist Keichiro Shibuya meist elektronische Musik live ein, und Hatsune gibt eine Mischung aus Pinocchio und Alice im Wunderland dazu. Spricht mit einem weißen Kaninchen, träumt von einem echten Körper, fragt, was das Menschsein ausmacht, sagt: „Um ein Mensch zu werden, muss ich auch sterben können.“
Die Bildschirmwände um sie wirken wie ein Gefängnis. Aber dann fliegt sie doch auch mit einem Drachen davon und schließlich löst sie sich in ihre Pixel auf. „The End“heißt die ziemlich kluge und eindrucksvolle Show. Aber vielmehr steht sie wohl für einen Anfang. Die Unterhaltung der Zukunft braucht den Menschen womöglich nur noch als Konsumenten. Die nötigen Stars sind aus dem Computer und aus der Vergangenheit.