Wiens Ärzte haben genug
An den Kliniken der Stadt droht ein Streik
Wien Österreich sei reformunfähig, stellte kürzlich eine Studie der deutschen Bertelsmann-Stiftung fest. Die Politik sei weniger zukunftsfähig als die Deutschlands und der Schweiz. Was sich derzeit im österreichischen Gesundheitssystem abspielt, könnte den Kritikern als Paradebeispiel dienen: Mehr als 60 Prozent der Ärzte, die in den kommunalen Wiener Krankenhäusern arbeiten, drohen mit Streik. Sie wehren sich gegen die seit einem Jahr laufende Umsetzung einer EUArbeitszeitrichtlinie: Die EU-Vorschrift, die in Deutschland schon seit Jahren Praxis ist, verlangt eine grundlegende Reform der Schichtdienste und ihrer Bezahlung.
So versuchen die Klinken in Österreich die Zahl der Nachtdienste zu verringern. Mehr Ärzte sollen tagsüber arbeiten. Außerdem wird die maximale durchgehende tägliche Arbeitszeit von zuvor 25 Stunden auf nun 12,5 Stunden verkürzt. Um die damit verbundenen Gehaltseinbußen auszugleichen, bekamen die österreichischen Mediziner Gehaltserhöhungen von 30 bis 50 Prozent.
Damit, so der Generaldirektor des österreichischen „Krankenanstaltenverbandes“, Thomas Janßen, seien die Ansprüche der Ärzteschaft abgedeckt worden. Auch der Wiener Bürgermeister Michael Häupl pocht auf die Einhaltung der vereinbarten Nachtdienstregelung.
Die Ärzte wollen jedoch durchsetzen, dass nun Ersatz für die wegfallenden Nachtdienste kommt. Sie fordern zentrale Notaufnahmestellen in allen Krankenhäusern und einen Ärztefunkdienst. Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres sieht sonst die Patientenversorgung für gefährdet: „Wir sehen wachsende Wartezeiten – sowohl auf Termine und Operationen als auch in den Ambulanzen selbst“, kritisiert er. „Es macht keinen Sinn, die Leistungen herunterzufahren, wenn Wien rasant wächst und die Menschen immer älter werden.“
Zweifellos ist die Stimmung unter den Wiener Ärzten ausgesprochen schlecht. Während Führungskräfte die Reformen von Krankenhausverbandschef Janßen mittragen und dafür belohnt werden, machen sich Stations- und Oberärzte Sorgen. Zumal seit einigen Monaten Überstunden nur noch sehr eingeschränkt erlaubt werden. „Ein Viertel der Überstunden wird nicht bezahlt“, sagt der Sprecher der Ärztekammer, Alexandros Stavrou.
Ein Lungenfacharzt, der in Wien die Ärztegewerkschaft „Asklepios“gegründet hatte, streitet zur Zeit vor Gericht mit Janßens Klinikverband. Sein befristeter Arbeitsvertrag war nicht verlängert worden, weil er zu wenig „Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien“zeige. Dem Entscheidungsgremium gehörten sowohl die Frau des Wiener Bürgermeisters, Barbara Hörnlein, Ärztliche Direktorin des Wilhelminenspitals, an als auch der Mann der österreichischen Gesundheitsministerin, Gerold Oberhauser.