Friedberger Allgemeine

Henning Voscherau – ein echter Hanseat

Fast zehn Jahre lang lenkte der SPD-Politiker als Erster Bürgermeis­ter die Geschicke Hamburgs

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Hamburg Für viele Hamburger war Henning Voscherau die Verkörperu­ng eines echten Hanseaten: überaus korrekt, ein wenig kühl und distanzier­t, mitunter auch arrogant. „Als Großstadtb­ürgermeist­er braucht man Fleiß, Härte und Präzision“, sagte er einst über sein Verständni­s des Amtes. Voscherau ist im Alter von 75 Jahren in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch an den Folgen eines Hirntumors gestorben. Der Hansestadt hinterläss­t ein bedeutende­s Erbe: den neuen Stadtteil Hafencity an der Elbe.

Das Haar silbrig weiß, helle Augen und ein jugendlich­es Gesicht, so bleibt der SPD-Politiker in Erinnerung. Voscherau, der von 1982 bis 1997 die SPD-Fraktion in der Bürgerscha­ft führte, war 1988 ins Amt des Ersten Bürgermeis­ters gewählt worden. In die SPD war der Spross einer Hamburger Schauspiel­erfamilie 1966 eingetrete­n. Dass Voscherau 1997 einen Schlussstr­ich unter seine politische Karriere zog, hinderte ihn nicht, sich weiter einzumisch­en, etwa in der Drogenpoli­tik, beim umstritten­en Kohlekraft­werk Moorburg oder für weitere Elbvertief­ungen. 2008 bot er sich als „Joker“für die SPD-Spitzenkan­didatur zur Bürgerscha­ftswahl an. Doch er kam nicht zum Zuge.

Voscherau, am 13. August 1941 in Hamburg als Sohn eines Schauspiel­ers geboren, galt als enger Freund von Altkanzler Helmut Schmidt (SPD, 1918–2015) und dessen Ehefrau Loki (1919–2010). Er hielt im Hamburger Michel eine gefühlvoll­e Trauerrede auf Loki – sie hatte sich das gewünscht. Er stand dem Altkanzler bei: „Helmut, du musst uns Freunden helfen festzustel­len, wie wir dir jetzt helfen können.“Geschliffe­ne Reden, auch aus dem Stegreif, zeichneten ihn aus.

Die Bundesnota­r-Ordnung nötigte den promoviert­en Juristen im Alter von 70 Jahren dazu, seinen geliebten Beruf 2011 an den Nagel zu hängen. „Plötzlich“musste er – seit 1974 Notar – sich eine neue Beschäftig­ung suchen. Er wechselte zur Bürogemein­schaft seines Sohnes, des Immobilien­anwalts Carl Christian Voscherau. Nicht jeder war erfreut, als sich Voscherau 2012 auf Vorschlag des russischen Energierie­sen Gazprom zum Aufsichtsr­atsvorsitz­enden des Gasprojekt­s South Stream wählen ließ. Zuvor war bereits sein Bruder, der frühere BASF-Chef Eggert Voscherau, bis 2009 Aufsichtsr­at bei der Nord Stream AG gewesen. South Stream sollte Gas von Russland durch das Schwarze Meer nach Südeuropa pumpen. Das Projekt wurde 2014 von Russlands Präsident Wladimir Putin gestoppt.

Doch der damals 73-Jährige fühlte sich auch danach nicht reif für den Ruhestand. Er übernahm im Dezember 2014 den Vorsitz der neuen Mindestloh­nkommissio­n. Es sollte sein letztes Amt sein: Wegen einer schweren Kopfoperat­ion musste Voscherau den Kommission­svorsitz im April 2015 schließlic­h wieder abgeben.

In den Ruhestand zu gehen, konnte er sich nie vorstellen

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Foto: imago Henning Voscherau ist mit 75 Jahren gestorben.

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