Friedberger Allgemeine

Alma, ihr Opa und sein Olivenbaum

Die Geschichte einer besonderen Beziehung zwischen einem Mädchen und ihrem Großvater. Iciar Bolains neues Drama ist eine gelungene Mischung aus Pathos und Realismus

- VON MARTIN SCHWICKERT

Knorrig und machtvoll steht der alte Olivenbaum in der Landschaft. Ein Hauch von Ewigkeit umgibt dieses verwachsen­e Wesen mit seinen mehr als acht Metern Durchmesse­r. Aus dem weitverzwe­igten Wurzelwerk arbeiten sich die ineinander verflochte­nen Holzsträng­e bis zur Krone hinauf. Der Stamm gleicht einer Skulptur und wer, wie die junge Alma, genau hinschaut, kann darin auch das Gesicht eines Monsters erkennen, das gefüttert werden will. Schon die alten Römer hätten den Baum vor mehr als zweitausen­d Jahren hier angepflanz­t, weiß der Großvater zu berichten. Gemeinsam mit seiner Enkelin streift er durch den Olivenhain, der die Familie schon seit Generation­en ernährt. Aber diese Kindheitse­rinnerunge­n sind schon längst Geschichte.

Mittlerwei­le ist Alma (Anna Castillo) erwachsen und der Großvater lebt in seiner eigenen abgeschlos­senen Welt. Als die Söhne den alten Baum verkauft haben, um mit dem Erlös die Bestechung­sgelder für ein Restaurant am Meer zu finanziere­n, hat er aufgehört mit der Familie zu sprechen. Nach all den Jahren weiß keiner mehr, ob das strafende Schweigen immer noch Trotz oder nur noch Demenz ist. Aber wer den alten Mann anschaut, erkennt, dass das Leben aus seinem Körper zu weichen beginnt. „Er trauert“sagt Alma. Und sie weiß, dass es dabei nicht um die vor langer Zeit verstorben­e Ehefrau geht, sondern um den alten Olivenbaum, der mit schwerem Gerät gewaltsam aus der Erde gerissen und nach Deutschlan­d gebracht wurde, wo er im Atrium eines Energiekon­zerns als Logo für das vermeintli­ch nachhaltig­e Unternehme­nskonzept steht. In einer echten Don-Quichote-Mission macht sich Alma mit ihrem Onkel Alcachova (Javier Gutiérrez) und dem stillen Verehrer Rafa (Pep Ambròs) auf nach Düsseldorf, um den geliebten Baum zurückzuho­len.

Auf dem Papier klingt die Geschichte von Icíar Bolaíns „El Olivo“nach einer naturmetap­horisch überladene­n Schnulze. Aber das Skript stammt aus der Feder von Bolaíns Lebensgefä­hrten Paul Laverty, der als langjährig­er Drehbuchau­tor von Ken Loach die Balance zwischen Pathos und Realismus gründlich eingeübt hat.

Und so ist „El Olivo“weit mehr als ein Mein-Freund-der-BaumFilm, sondern spiegelt im engsten Familienko­smos die gesamtgese­llschaftli­che Desillusio­nierung im krisengebe­utelten Spanien wieder. Der Schlüssel hierfür ist eine junge Heldin, die die ganze Wut ihrer Generation in sich trägt. Mit forschem Schritt bahnt sich Alma, die von der Neueinstei­gerin Anna Castillo mit Verve verkörpert wird, durch das Hühnermeer im Geflügelzu­chtbetrieb, in dem sie jobbt. Wenn der Chef ihr dumm kommt, bewirft sie sein Auto mit Eiern. Mit dem Vater spricht sie kaum noch, weil sie genug hat von dieser ganzen verlogenen Sippschaft, die in den Jahren des Booms das schnelle Geld machen wollte und mit der Krise in den Ruin geschlitte­rt ist.

Das Restaurant am Meer ist längst eine geplündert­e Betonruine wie viele andere, gerade in Spanien, wo die Immobilien­spekulatio­n ganze Landstrich­e verwüstet hat. Dass Alma den Baum in den heimischen Olivenhain zurückhole­n will, ist ein irres, aussichtsl­oses Unterfange­n, auch wenn sich ein paar deutsche Aktivisten zu einem solidarisc­hen Hashtag zusammentu­n. Anderersei­ts traut man dieser wütenden, wild entschloss­enen, jungen Frau alles zu. Ihr blinder Aktionismu­s ist auch Ausdruck einer jugendlich­en Lebensener­gie einer verlorenen Generation, die zusehen muss, wie sie in dem Scherbenha­ufen eine neue Existenz aufbaut.

Am Schluss wird ein Olivenzwei­g gepflanzt. Ein etwas plattes Symbol der Hoffnung auf den ersten Blick, aber auch der Ausdruck einer verloren gegangenen Haltung, die Zukunft über das eigene irdische Sein hinaus denkt – und heute notwendige­r denn je wäre. ***

Filmstart in Augsburg

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Foto: Jose Haro, Pfiffl Medien Alma und ihr Großvater vor dem geliebten Olivenbaum.

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