Ganz hoch hinaus mit der Stimme
Benno Schachtner singt in Regionen, die Sängerinnen vorbehalten sind. Inzwischen verpflichten ihn die Stars der Klassik-Szene. Und er holt sie nach Schwaben
Roggenburg Hier zeigt sich Mittelschwaben von einer seiner schönsten Seiten: Auf einer Kuppe in der sanft gewellten Landschaft ragen die Doppeltürme des Klosters Roggenburg weithin sichtbar in den Himmel – malerisches Zeichen dafür, dass man sich hier im Herzen des Schwäbischen Barockwinkels befindet. Für Benno Schachtner ist das im Landkreis Neu-Ulm gelegene Roggenburg auch in weiterer Hinsicht ein besonderer Ort. In der Kirche des Klosters konzertierte er schon als Jugendlicher an der Orgel, hier fand seine Hochzeit statt, hier wird am kommenden Sonntag ein neues Musikfestival an den Start gehen, dem er nicht nur als künstlerischer Leiter vorsteht, sondern bei dem er auch selbst zu den Mitwirkenden gehört.
Benno Schachtner, in Illertissen geboren, ist im Hauptberuf Sänger. Was nicht weiter erstaunt bei einem, der aus einer entschieden musikliebenden Familie stammt und daher
„Als Countertenor kann ich michambestenausdrücken“
auch einen klassischen Werdegang zu verzeichnen hat. Stimmbildung im Chor der Ulmer Spatzen, Orgelunterricht in Memmingen, Preise beim Wettbewerb „Jugend musiziert“. Kein Wunder, dass die Musik Beruf werden sollte. Nach dem Abitur ging Schachtner nach Detmold, um Kirchenmusik in der Orgelklasse des renommierten Professors Gerhard Weinberger zu studieren.
Vom Singen hat er dabei nie abgelassen, und weil er in Detmold im Chor als Tenor gebraucht wurde und dabei bemerkte, wie er häufig in die Kopfstimme wechselte und dieser Stimmbezirk sich als ausbaufähig erwies, begann er parallel zur Kirchenmusik noch ein Gesangsstudium. In eben jener Stimmlage, die, wenn ein Mann in ihr zu singen anhebt, jedes Mal staunen lässt: als Countertenor – also mittels jener Falsetttechnik, die es Männerstimmen ermöglicht, in Höhen hinaufzusteigen, die sonst nur Altistinnen und Sopranen möglich sind.
„Als Countertenor“, sagt Schachtner, dessen natürliche, nicht falsettierende Stimmlage eigentlich Bariton ist, „kann ich mich einfach am besten ausdrücken.C
In dieser Spezialdisziplin ist der 31-Jährige inzwischen ein international gefragter Spezialist. Entsprechende Anlagen und Talent braucht es dazu, aber auch eine Portion Glück. Die hatte er unter anderem, als René Jacobs, einer der großen Dirigenten der Alten-Musik-Szene, für eine Aufführung von Emilio de’ Cavalieris Oratorium „Rappresentatione di anima, et di corpo“in Berlin Countertenöre suchte und dafür reihenweise Kandidaten vorsingen ließ. Benno Schachtner erhielt den Zuschlag – und dabei blieb es nicht.
Zu Ostern dieses Jahres erschien René Jacobs Neueinspielung von Bachs Johannes-Passion (beim La- Harmonia Mundi), eine Aufnahme, die als Meilenstein gelten darf. Die Alt-Arien darauf singt Benno Schachtner, und hier kann man hören, weshalb eine Dirigenten-Koryphäe wie Jacobs auf den Countertenor aus Schwaben setzt. Schachtners Stimme schwingt wundervoll gelöst; bei ihm vernimmt man nicht die gequetschte Enge mancher Fachkollegen. Und erst das Farbenspiel der Stimme, das ein weitgefächertes Ausdruckspektrum zulässt! Man verfolge nur, wie Schachtner in der Arie „Es ist vollbracht“die Seelenschmerzen angesichts des Todes Jesu in ergreifendes vokales Dunkel zu hüllen imstande ist.
Gerade diese Fähigkeit zur Tragfähigkeit und Resonanz in der (Countertenor-)Tiefe ist es, die Schachtner auch für die Opernbühne prädestiniert, etwa für die einst für Kastraten geschriebenen Rollen der Bühnenwerke Händels. Und so haben den Sänger inzwischen die Händel-Festspiele in Halle ebenso entdeckt wie die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik. Ensembles wie das kanadische Tafelmusik Orchestra verpflichten ihn für internationale Tourneen. Auch hochkarätige Auszeichnungen stellen sich ein, darunter der Leipziger Bachpreis oder jüngst der Bayerische Kunstförderpreis.
„Als Schwabe bin ich ein bodenständiger Mensch“– Schachtner hat es sich deshalb reiflich überlegt, ob er sein berufliches Standbein ganz auf den Countertenor verlagern will. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Und weil Schachtner nicht nur schwäbisch-bodenständig ist, sondern auch mit Leidenschaft Programme und Kalkulationen entwirft und zudem, wie er sagt, „ein bisschen ein Workaholic“ist, schleppt er schon seit Jahren die Idee von einem Musikfest im Kloster Roggenburg mit sich herum – eine Idee, die jetzt zur Tat gereift ist: Am Sonntag geht es im dortigen Barock-Ambiente los mit „Fr:ame“und Klasbel sik-Größen wie dem Tenor Werner Güra und dem Blockflötisten Stefan Temmingh, frischgebackener EchoKlassik-Preisträger (siehe FestivalVorschau links).
Danach, mit Beginn der Saison 2016/17, konzentriert er sich erst mal wieder ganz aufs Singen – und auf seine beginnende Dozentur für historische Aufführungspraxis an der Musikhochschule von Mannheim. Konzertverpflichtungen stehen an, etwa mit der Akademie für Alte Musik Berlin und dem Ensemble B’Rock, dazu Aufführungen der Bach’schen Johannes-Passion, und selbstverständlich Oper, darunter Henry Purcells „King Arthur“mit René Jacobs an der Staatsoper Berlin.
Weil ihm das Agieren auf der Bühne so sehr Spaß bereitet, auch weil sich daraus manches lernen lässt für den Konzert- und Oratoriengesang, ist Schachtner inzwischen ganz wild aufs Musiktheater: „Ich bin ein Operntier!“– von dem das Publikum gewiss noch manches zu erwarten hat.