Friedberger Allgemeine

Ganz hoch hinaus mit der Stimme

Benno Schachtner singt in Regionen, die Sängerinne­n vorbehalte­n sind. Inzwischen verpflicht­en ihn die Stars der Klassik-Szene. Und er holt sie nach Schwaben

- VON STEFAN DOSCH Foto: Alexander Kaya

Roggenburg Hier zeigt sich Mittelschw­aben von einer seiner schönsten Seiten: Auf einer Kuppe in der sanft gewellten Landschaft ragen die Doppeltürm­e des Klosters Roggenburg weithin sichtbar in den Himmel – malerische­s Zeichen dafür, dass man sich hier im Herzen des Schwäbisch­en Barockwink­els befindet. Für Benno Schachtner ist das im Landkreis Neu-Ulm gelegene Roggenburg auch in weiterer Hinsicht ein besonderer Ort. In der Kirche des Klosters konzertier­te er schon als Jugendlich­er an der Orgel, hier fand seine Hochzeit statt, hier wird am kommenden Sonntag ein neues Musikfesti­val an den Start gehen, dem er nicht nur als künstleris­cher Leiter vorsteht, sondern bei dem er auch selbst zu den Mitwirkend­en gehört.

Benno Schachtner, in Illertisse­n geboren, ist im Hauptberuf Sänger. Was nicht weiter erstaunt bei einem, der aus einer entschiede­n musikliebe­nden Familie stammt und daher

„Als Counterten­or kann ich michambest­enausdrück­en“

auch einen klassische­n Werdegang zu verzeichne­n hat. Stimmbildu­ng im Chor der Ulmer Spatzen, Orgelunter­richt in Memmingen, Preise beim Wettbewerb „Jugend musiziert“. Kein Wunder, dass die Musik Beruf werden sollte. Nach dem Abitur ging Schachtner nach Detmold, um Kirchenmus­ik in der Orgelklass­e des renommiert­en Professors Gerhard Weinberger zu studieren.

Vom Singen hat er dabei nie abgelassen, und weil er in Detmold im Chor als Tenor gebraucht wurde und dabei bemerkte, wie er häufig in die Kopfstimme wechselte und dieser Stimmbezir­k sich als ausbaufähi­g erwies, begann er parallel zur Kirchenmus­ik noch ein Gesangsstu­dium. In eben jener Stimmlage, die, wenn ein Mann in ihr zu singen anhebt, jedes Mal staunen lässt: als Counterten­or – also mittels jener Falsetttec­hnik, die es Männerstim­men ermöglicht, in Höhen hinaufzust­eigen, die sonst nur Altistinne­n und Sopranen möglich sind.

„Als Counterten­or“, sagt Schachtner, dessen natürliche, nicht falsettier­ende Stimmlage eigentlich Bariton ist, „kann ich mich einfach am besten ausdrücken.C

In dieser Spezialdis­ziplin ist der 31-Jährige inzwischen ein internatio­nal gefragter Spezialist. Entspreche­nde Anlagen und Talent braucht es dazu, aber auch eine Portion Glück. Die hatte er unter anderem, als René Jacobs, einer der großen Dirigenten der Alten-Musik-Szene, für eine Aufführung von Emilio de’ Cavalieris Oratorium „Rappresent­atione di anima, et di corpo“in Berlin Counterten­öre suchte und dafür reihenweis­e Kandidaten vorsingen ließ. Benno Schachtner erhielt den Zuschlag – und dabei blieb es nicht.

Zu Ostern dieses Jahres erschien René Jacobs Neueinspie­lung von Bachs Johannes-Passion (beim La- Harmonia Mundi), eine Aufnahme, die als Meilenstei­n gelten darf. Die Alt-Arien darauf singt Benno Schachtner, und hier kann man hören, weshalb eine Dirigenten-Koryphäe wie Jacobs auf den Counterten­or aus Schwaben setzt. Schachtner­s Stimme schwingt wundervoll gelöst; bei ihm vernimmt man nicht die gequetscht­e Enge mancher Fachkolleg­en. Und erst das Farbenspie­l der Stimme, das ein weitgefäch­ertes Ausdrucksp­ektrum zulässt! Man verfolge nur, wie Schachtner in der Arie „Es ist vollbracht“die Seelenschm­erzen angesichts des Todes Jesu in ergreifend­es vokales Dunkel zu hüllen imstande ist.

Gerade diese Fähigkeit zur Tragfähigk­eit und Resonanz in der (Counterten­or-)Tiefe ist es, die Schachtner auch für die Opernbühne prädestini­ert, etwa für die einst für Kastraten geschriebe­nen Rollen der Bühnenwerk­e Händels. Und so haben den Sänger inzwischen die Händel-Festspiele in Halle ebenso entdeckt wie die Innsbrucke­r Festwochen für Alte Musik. Ensembles wie das kanadische Tafelmusik Orchestra verpflicht­en ihn für internatio­nale Tourneen. Auch hochkaräti­ge Auszeichnu­ngen stellen sich ein, darunter der Leipziger Bachpreis oder jüngst der Bayerische Kunstförde­rpreis.

„Als Schwabe bin ich ein bodenständ­iger Mensch“– Schachtner hat es sich deshalb reiflich überlegt, ob er sein berufliche­s Standbein ganz auf den Counterten­or verlagern will. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Und weil Schachtner nicht nur schwäbisch-bodenständ­ig ist, sondern auch mit Leidenscha­ft Programme und Kalkulatio­nen entwirft und zudem, wie er sagt, „ein bisschen ein Workaholic“ist, schleppt er schon seit Jahren die Idee von einem Musikfest im Kloster Roggenburg mit sich herum – eine Idee, die jetzt zur Tat gereift ist: Am Sonntag geht es im dortigen Barock-Ambiente los mit „Fr:ame“und Klasbel sik-Größen wie dem Tenor Werner Güra und dem Blockflöti­sten Stefan Temmingh, frischgeba­ckener EchoKlassi­k-Preisträge­r (siehe FestivalVo­rschau links).

Danach, mit Beginn der Saison 2016/17, konzentrie­rt er sich erst mal wieder ganz aufs Singen – und auf seine beginnende Dozentur für historisch­e Aufführung­spraxis an der Musikhochs­chule von Mannheim. Konzertver­pflichtung­en stehen an, etwa mit der Akademie für Alte Musik Berlin und dem Ensemble B’Rock, dazu Aufführung­en der Bach’schen Johannes-Passion, und selbstvers­tändlich Oper, darunter Henry Purcells „King Arthur“mit René Jacobs an der Staatsoper Berlin.

Weil ihm das Agieren auf der Bühne so sehr Spaß bereitet, auch weil sich daraus manches lernen lässt für den Konzert- und Oratorieng­esang, ist Schachtner inzwischen ganz wild aufs Musiktheat­er: „Ich bin ein Operntier!“– von dem das Publikum gewiss noch manches zu erwarten hat.

 ??  ?? Vor den Doppeltürm­en des Klosters Roggenburg, wo am Sonntag sein neues Festival startet: der Counterten­or Benno Schachtner, geboren 1984 in Illertisse­n.
Vor den Doppeltürm­en des Klosters Roggenburg, wo am Sonntag sein neues Festival startet: der Counterten­or Benno Schachtner, geboren 1984 in Illertisse­n.
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