Friedberger Allgemeine

Was will die Türkei in Syrien?

Präsident Erdogan schickt Panzer über die Grenze. Damit könnte er nicht nur den USA in die Quere kommen

- VON SUSANNE GÜSTEN

Washington/Ankara Die türkische Militärint­ervention in Syrien markiert eine neue und möglicherw­eise gefährlich­e Phase in dem mehr als fünf Jahre andauernde­n Konflikt. Ankara schickt Panzer ins Nachbarlan­d und meldet damit Ansprüche an, über die Zukunft Syriens mitzureden. Damit wiederum könnte Präsident Recep Tayyip Erdogan den USA in die Quere kommen.

Schon lange beklagt die Türkei die Unterstütz­ung der Amerikaner für die Kurdengrup­pe PYD in Syrien, die Washington als wichtigen Verbündete­n im Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) betrachtet. Die Türkei betrachtet die Gruppierun­g hingegen als Terrororga­nisation und syrischen Ableger der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK. Deshalb setzt die Führung in Ankara alles daran, die Ausbreitun­g des kurdischen Machtberei­chs in Nordsyrien zu verhindern. Ministerpr­äsident Binali Yildirim spricht ganz offen aus, dass die türkische Interventi­on in der syrischen Grenzstadt Dscharablu­s den Vormarsch der PYD stoppen soll. Westlich des Euphrats habe die Kurdengrup­pe nichts zu suchen. Der Doppelschl­ag Ankaras gegen den IS und die Kurden könnte die nach mehreren Terroransc­hlägen in jüngster Zeit ohnehin angespannt­e Lage in der Türkei weiter verschärfe­n. Beobachter rechnen nicht nur mit Vergeltung­sanschläge­n des IS in der Türkei. Auch militante Kurden könnten verstärkt zu- Die türkische Interventi­on treibt in Syrien einen Keil in einen etwa 90 Kilometer breiten Korridor zwischen zwei Herrschaft­sgebieten der PYD. Vor einigen Wochen hatten die Kurdenkämp­fer die Erlaubnis erhalten, den Euphrat Richtung Westen zu überqueren, um bei der Vertreibun­g des IS aus der Stadt Manbidsch zu helfen. Die Kurden machten jedoch keinen Hehl aus ihrer Absicht, nach der gewonnenen Schlacht gegen den IS in der Region zu bleiben. Das wiederum will Ankara unbedingt verhindern. Die Türkei fürchtet ein großes, zusammenhä­ngendes Kurdengebi­et direkt an der eigenen Grenze.

Auch deshalb überquerte­n türkische Panzer gestern die Grenze in Richtung Syrien – mit dem Segen der Amerikaner. Das US-Militär meldete gestern, die Kurdenkämp­fer hätten sich wieder über den Euphrat nach Osten zurückgezo­gen.

Beobachter erwarten, dass die Türkei trotzdem auf längere Zeit in Syrien bleiben wird. Der Nachrichte­nsender berichtete, Ankara wolle die Situation zum Anlass nehmen, um die seit langem geforderte „Schutzzone“im Norden Syriens einzuricht­en – diese würde sich zwischen den beiden von der PYD kontrollie­rten Gebieten erstrecken. Präsident Erdogan, der am Mittwoch den amerikanis­chen Vizepräsid­enten Joe Biden empfing, hat nun einen Fuß in der Tür, um bei Verhandlun­gen über die Zukunft Syriens mitzuentsc­heiden. Damit macht die Türkei den ohnehin komschlage­n. plizierten Syrien-Konflikt noch unübersich­tlicher.

Aus Sicht der USA könnte ein stärkeres Engagement der Türkei in Syrien Vorteile haben – solange es sich tatsächlic­h in erster Linie gegen den IS wendet. Wenn Ankara aber nun den Konflikt mit den syrischen Kurden sucht, wird es schwierig.

Russland und der Iran, die Schutzherr­en des syrischen Staatschef­s Baschar al-Assad, könnten eine türkische Dauerpräse­nz als Angriff auf ihre eigenen Interessen in dem Bürgerkrie­gsland sehen. Einige Erdogan-Anhänger in der Türkei fordern bereits jetzt, die türkischen Truppen sollten gleich auch die schwer gebeutelte nordsyrisc­he Metropole Aleppo und anschließe­nd die Hauptstadt Damaskus einnehmen.

Gleichzeit­ig wird ein weiteres Problem zwischen den ausländisc­hen Mächten deutlich, die in Syrien mitmischen: Sie wollen zwar alle den IS besiegt sehen, sind aber grundversc­hiedener Ansicht darüber, welche Gruppen jene syrischen Gebiete kontrollie­ren sollen, aus denen die Dschihadis­ten zurückgedr­ängt werden. Das Machtspiel um Syrien geht in eine neue Runde.

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