Friedberger Allgemeine

Kolumbien hofft auf Frieden

Nach fünf Jahrzehnte­n Gewalt reichen sich Regierung und Rebellen die Hand. Nur das Volk kann den Erfolg jetzt noch verhindern

- VON SANDRA WEISS

Puebla Als Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos vor vier Jahren begann, mit der ältesten Guerilla Lateinamer­ikas zu verhandeln, wunderten sich viele. Schließlic­h galt Santos, der zuvor dem rechten Präsidente­n Alvaro Uribe als Verteidigu­ngsministe­r gedient hatte, als Hardliner und Repräsenta­nt einer sozial wenig sensiblen Elite. Die meisten räumten ihm zudem kaum Chancen auf einen Erfolg ein. An den Farc-Rebellen hatten sich schon viele seiner Vorgänger die Zähne ausgebisse­n. Doch sie unterschät­zten den Poker-Spieler Santos, der die Gunst der Stunde nutzte.

Die Grundlagen für den Erfolg: Die durch Militärsch­läge geschwächt­e Moral der Guerilla, die Überzeugun­g des Präsidente­n, dass nur das Ende des Konflikts Kolumbien ermöglicht, sein volles, wirtschaft­liches Potenzial zu entfalten – und sein Geschick, mit einer wohldosier­ten Kommunikat­ionspoliti­k die schwierige­n Verhandlun­gen zu begleiten und die öffentlich­e Meinung langsam auf den Paradigmen­wandel vorzuberei­ten. Santos, zweifellos ein Politiker mit ebenso viel Vision wie Ego, steht kurz davor, die wichtigste Partie seines Lebens zu gewinnen.

Doch noch ist der Frieden nicht unter Dach und Fach. Santos, dessen Amtszeit 2018 endet, hat ein Plebiszit anberaumt, um das Abkommen gesellscha­ftlich zu verankern. Doch – so erstaunlic­h das anmutet – große Zustimmung findet der Vertrag im Volk nicht. Die Gegner, angeführt von Uribe, stören sich vor allem daran, dass die unpopuläre­n Farc künftig Politik machen dürfen und nicht im Gefängnis schmoren – außer diejenigen, die Verbrechen gegen die Menschlich­keit begangen haben oder ihre Verbrechen nicht gestehen, bereuen und reparieren. Uribes Kritik trifft den Nerv vieler, die den marxistisc­hen Rebellen nicht über den Weg trauen.

Das Plebiszit ist die riskantest­e Karte von Santos. Es sei politisch, nicht aber rechtlich bindend, befand das Verfassung­sgericht – was auch immer das in der Praxis bedeuten soll. Uribe sagt, ein „Nein“ermögliche die Neuverhand­lung, Santos behauptet, dann platze der Friedensve­rtrag und es drohe Krieg.

Selbst wenn es gut für Santos ausgeht, wartet schon die nächste Aufgabe: 7000 Farc-Kämpfer müssen in die Gesellscha­ft integriert werden. In vielen armen und ländlichen Regionen haben sie noch immer das Sagen. Und dann ist da auch noch jenes Thema, das vor 50 Jahren den Krieg auslöste – die Landfrage. Rund 14 Prozent der Landesfläc­he haben sich verbrecher­ische Gruppen im Bürgerkrie­g gewaltsam angeeignet; vieles davon wurde inzwischen mehrfach weiterverk­auft. Im Friedensve­rtrag vorgesehen ist Rückgabe, notfalls Entschädig­ung der ursprüngli­chen Besitzer. Das gegenseiti­ge Misstrauen sitzt noch tief. „Trotz allem ist heute ein Jubeltag“, schreibt der Schriftste­ller Ricardo Silva in einer Kolumne für „Von jetzt an können wir nicht mehr anderen – Kolonialmä­chten, Guerillero­s oder der Regierung – die Schuld in die Schuhe schieben. Nun sind wir in der Verantwort­ung.“

Das Misstrauen sitzt noch immer tief

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Foto: dpa Kolumbien gestern: Viele jubeln, andere bleiben skeptisch.

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