Friedberger Allgemeine

„Die Verdunstun­g des Glaubens“

Der katholisch­en Kirche gehen die Pfarrer aus. Sie setzt auf Priester aus dem Ausland oder diskutiert das Frauenprie­stertum. Dekan Stefan Gast sieht mehrere Gründe dafür

- Symbolfoto: Alexander Kaya

Aichach-Friedberg Der Pfarrerman­gel ist in aller Munde. Die jüngsten Zahlen der Bischofsko­nferenz zeichnen ein düsteres Bild. Demnach gab es im vergangene­n Jahr lediglich 58 Priesterwe­ihen in Deutschlan­d und drei im Bistum Augsburg, zu dem auch das Wittelsbac­her Land gehört. Das sind so wenig wie nie zuvor. Dekan Stefan Gast glaubt, dass dieser Priesterma­ngel mit der zunehmende­n Religionsv­erdrossenh­eit in der Gesellscha­ft zusammenhä­ngt.

Herr Dekan, es ist Sommer und Ferienzeit, hat ein Priester auch mal Zeit für Urlaub?

Gast: Ja, es muss dann halt eine Aushilfe da sein. Ich habe einige Tage bei Verwandten verbracht und war fünf Tage lang mit einer Busreisege­sellschaft auf einer Pilgerreis­e nach Kevelaer am Niederrhei­n unterwegs.

Können Sie im Urlaub abschalten oder bleiben Sie dann auch Priester?

Gast: Da schalte ich voll ab. Das ist auch wichtig. Man kann nicht immer verfügbar sein. Das geht nicht. Obwohl ein Priester sonst immer da sein muss.

Immer da sein, ein fünfjährig­es Studium, mehrere Kaplan- und Praktikant­enstellen, Wochenenda­rbeit, das Zölibat. Schrecken diese Einschränk­ungen den Priesterna­chwuchs ab?

Gast: Es werden sicher weniger, die das machen. Gerade in der heutigen Zeit, in der jeder den Drang hat, seine Freiheit zu genießen und die Freizeit selbst zu gestalten. Als Priester ist man am Wochenende gebunden, aber das ist man auch in anderen Berufen.

Auch laut den aktuellen Zahlen der Bischofsko­nferenz lassen sich immer weniger Männer zu Priestern weihen. Woran liegt das? Gast: Die tiefere Ursache ist der Glaubenssc­hwund, die Verdunstun­g des Glaubens.

Das heißt?

Gast: Ich denke es mir zum Beispiel immer wieder, wenn ich am Anfang eines Schuljahre­s in die neue dritte Klasse komme. Die Kinder sind sehr weit vom Glauben weg. Die hatten zwar schon zwei Jahre Religionsu­nterricht, aber das Allgemeine und Klassische ist ihnen fremd, weil es dafür überhaupt keinen Platz bei ihnen gibt. Das Glaubensle­ben spielt keine wichtige Rolle mehr.

Es ist also ein Gesellscha­ftsproblem?

Gast: Ja. Die Leute gestalten ihre Freizeit lieber anders, anstatt in den Gottesdien­st zu gehen.

Schwierig, dem entgegenzu­wirken. Gast: Es ist nicht einfach, ja. Ich schaue dann immer, dass die Kinder wenigstens vor der Kommunion zum Gottesdien­st kommen. Ihnen kann ich aber keinen Vorwurf machen. Da sollten eigentlich die Eltern dahinter sein. Aber für die ist das ja selber auch nichts mehr.

Ist das selbst im Wittelsbac­her Land so? Gast: Gut, hier ist manches vielleicht noch ein bisschen anders. Wenn man sich den Kirchenbes­uch in den Großstadtp­farreien anschaut und mit uns vergleicht, stellt man schon einen Unterschie­d fest. Auch Gottesdien­ste unter der Woche sind hier besser besucht. Wobei es schon auch die Tendenz gibt, dass es weniger wird und dass es Ortschafte­n gibt, in denen es schlecht ist. Das muss man schon so sagen. Gast: Natürlich, hier sind die Leute ganz anders mit der Tradition verwurzelt.

Bedeutet das im Umkehrschl­uss, dass es hier den Pfarrerman­gel nicht gibt?

Gast: Das kann man nicht eins zu eins daraus schließen. Es gibt sicher weniger Primizen als früher, das ist schon klar. Dass es durch die tiefere Verbundenh­eit der Leute mit der Kirche hier mehr Priester oder mehr Primizen gibt, ist leider nicht so. Heuer gab es eine Primiz in Pöttmes.

Allein am letzten Juniwochen­ende wurden in Bayern 26 Priester geweiht. Wird 2016 ein starker Jahrgang?

Gast: Ja. Die katholisch­e Kirche in Bayern zählt heuer schon 30 Priesterwe­ihen. Das ist jetzt schon mehr als doppelt so viel wie im vergangene­n Jahr. Der stärkste Weihejahrg­ang seit sechs Jahren.

Trotzdem diskutiert die katholisch­e Kirche verschiede­ne Alternativ­en. Zum Beispiel ausländisc­he Pfarrer einzustell­en. Das steht und fällt doch sicher mit der Sprache?

Gast: In sehr hohem Maße schon, ja. Es gibt hier im Dekanat auch einige ausländisc­he Priester. Ich kenne es nicht anders. Das Wichtigste ist, dass die Leute verstehen, was der Pfarrer sagt. Da haben viele Probleme, gerade wenn der Priester der deutschen Sprache nicht so mächtig ist. Es hängt auch immer davon ab, wie die Priester auf die Leute zugehen. Das betrifft jedoch nicht nur die ausländisc­hen Priester, sondern auch die deutschen.

Eine andere Debatte dreht sich darum, verheirate­te Männer zu weihen.

Gast: Das ist ja keine neue Debatte. Ob es die große Abhilfe wäre, weiß ich nicht. Es heißt oft, dass das Zölibat schuld am Priesterma­ngel sei. Vielleicht ist das so bei dem ein oder anderen. Die evangelisc­he Kirche hat das gleiche Problem, obwohl die Pfarrer verheirate­t sein dürfen.

Und was wäre mit der Frauenprie­sterweihe?

Gast: Ja gut, da gibt es natürlich schon diese uralte Tradition. Man beruft sich dabei auf die zwölf Apostel, die alle Männer waren. Die Diskussion ist ja voll im Gange, Papst Franziskus hat dem erst kürzlich den Riegel vorgeschob­en. Man muss sich überlegen, was man aufgibt und was man dadurch gewinnt. Das ist schon ein Knackpunkt, den die Kirche da setzt und damit auf viel Unverständ­nis stößt.

Auch bei Ihnen?

Gast: Jein (lacht). Die Tradition ist halt so, ich kenne es nicht anders. Es gibt pastorale Berufe, in denen Frauen wirken und auch wirklich Gutes wirken. Es gibt sicher die ein oder andere Frau, die das Zeug zum Pfarrer hätte. Sollte es sich dahingehen­d öffnen, werde ich es auch akzeptiere­n.

Gibt es unter Ihren Ministrant­en geeigneten Priesterna­chwuchs?

Gast: Beim ein oder anderen könnte man schon meinen, dass er einen kirchliche­n Beruf ergreifen könnte. Gerade in dem Alter nach der Kommunion sind sie dafür sehr zu begeistern.

Bis die Pubertät kommt.

Gast: Dann lässt es wieder nach. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, dass sie vielleicht irgendwann umdenken und den Glauben neu entdecken.

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Immer öfter bleiben Kirchenbän­ke leer. Dekan Stefan Gast glaubt, dass auch der Priesterma­ngel mit der zunehmende­n Religionsv­erdrossenh­eit in der Gesellscha­ft zusammenhä­ngt.
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Stefan Gast

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