„Die Verdunstung des Glaubens“
Der katholischen Kirche gehen die Pfarrer aus. Sie setzt auf Priester aus dem Ausland oder diskutiert das Frauenpriestertum. Dekan Stefan Gast sieht mehrere Gründe dafür
Aichach-Friedberg Der Pfarrermangel ist in aller Munde. Die jüngsten Zahlen der Bischofskonferenz zeichnen ein düsteres Bild. Demnach gab es im vergangenen Jahr lediglich 58 Priesterweihen in Deutschland und drei im Bistum Augsburg, zu dem auch das Wittelsbacher Land gehört. Das sind so wenig wie nie zuvor. Dekan Stefan Gast glaubt, dass dieser Priestermangel mit der zunehmenden Religionsverdrossenheit in der Gesellschaft zusammenhängt.
Herr Dekan, es ist Sommer und Ferienzeit, hat ein Priester auch mal Zeit für Urlaub?
Gast: Ja, es muss dann halt eine Aushilfe da sein. Ich habe einige Tage bei Verwandten verbracht und war fünf Tage lang mit einer Busreisegesellschaft auf einer Pilgerreise nach Kevelaer am Niederrhein unterwegs.
Können Sie im Urlaub abschalten oder bleiben Sie dann auch Priester?
Gast: Da schalte ich voll ab. Das ist auch wichtig. Man kann nicht immer verfügbar sein. Das geht nicht. Obwohl ein Priester sonst immer da sein muss.
Immer da sein, ein fünfjähriges Studium, mehrere Kaplan- und Praktikantenstellen, Wochenendarbeit, das Zölibat. Schrecken diese Einschränkungen den Priesternachwuchs ab?
Gast: Es werden sicher weniger, die das machen. Gerade in der heutigen Zeit, in der jeder den Drang hat, seine Freiheit zu genießen und die Freizeit selbst zu gestalten. Als Priester ist man am Wochenende gebunden, aber das ist man auch in anderen Berufen.
Auch laut den aktuellen Zahlen der Bischofskonferenz lassen sich immer weniger Männer zu Priestern weihen. Woran liegt das? Gast: Die tiefere Ursache ist der Glaubensschwund, die Verdunstung des Glaubens.
Das heißt?
Gast: Ich denke es mir zum Beispiel immer wieder, wenn ich am Anfang eines Schuljahres in die neue dritte Klasse komme. Die Kinder sind sehr weit vom Glauben weg. Die hatten zwar schon zwei Jahre Religionsunterricht, aber das Allgemeine und Klassische ist ihnen fremd, weil es dafür überhaupt keinen Platz bei ihnen gibt. Das Glaubensleben spielt keine wichtige Rolle mehr.
Es ist also ein Gesellschaftsproblem?
Gast: Ja. Die Leute gestalten ihre Freizeit lieber anders, anstatt in den Gottesdienst zu gehen.
Schwierig, dem entgegenzuwirken. Gast: Es ist nicht einfach, ja. Ich schaue dann immer, dass die Kinder wenigstens vor der Kommunion zum Gottesdienst kommen. Ihnen kann ich aber keinen Vorwurf machen. Da sollten eigentlich die Eltern dahinter sein. Aber für die ist das ja selber auch nichts mehr.
Ist das selbst im Wittelsbacher Land so? Gast: Gut, hier ist manches vielleicht noch ein bisschen anders. Wenn man sich den Kirchenbesuch in den Großstadtpfarreien anschaut und mit uns vergleicht, stellt man schon einen Unterschied fest. Auch Gottesdienste unter der Woche sind hier besser besucht. Wobei es schon auch die Tendenz gibt, dass es weniger wird und dass es Ortschaften gibt, in denen es schlecht ist. Das muss man schon so sagen. Gast: Natürlich, hier sind die Leute ganz anders mit der Tradition verwurzelt.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass es hier den Pfarrermangel nicht gibt?
Gast: Das kann man nicht eins zu eins daraus schließen. Es gibt sicher weniger Primizen als früher, das ist schon klar. Dass es durch die tiefere Verbundenheit der Leute mit der Kirche hier mehr Priester oder mehr Primizen gibt, ist leider nicht so. Heuer gab es eine Primiz in Pöttmes.
Allein am letzten Juniwochenende wurden in Bayern 26 Priester geweiht. Wird 2016 ein starker Jahrgang?
Gast: Ja. Die katholische Kirche in Bayern zählt heuer schon 30 Priesterweihen. Das ist jetzt schon mehr als doppelt so viel wie im vergangenen Jahr. Der stärkste Weihejahrgang seit sechs Jahren.
Trotzdem diskutiert die katholische Kirche verschiedene Alternativen. Zum Beispiel ausländische Pfarrer einzustellen. Das steht und fällt doch sicher mit der Sprache?
Gast: In sehr hohem Maße schon, ja. Es gibt hier im Dekanat auch einige ausländische Priester. Ich kenne es nicht anders. Das Wichtigste ist, dass die Leute verstehen, was der Pfarrer sagt. Da haben viele Probleme, gerade wenn der Priester der deutschen Sprache nicht so mächtig ist. Es hängt auch immer davon ab, wie die Priester auf die Leute zugehen. Das betrifft jedoch nicht nur die ausländischen Priester, sondern auch die deutschen.
Eine andere Debatte dreht sich darum, verheiratete Männer zu weihen.
Gast: Das ist ja keine neue Debatte. Ob es die große Abhilfe wäre, weiß ich nicht. Es heißt oft, dass das Zölibat schuld am Priestermangel sei. Vielleicht ist das so bei dem ein oder anderen. Die evangelische Kirche hat das gleiche Problem, obwohl die Pfarrer verheiratet sein dürfen.
Und was wäre mit der Frauenpriesterweihe?
Gast: Ja gut, da gibt es natürlich schon diese uralte Tradition. Man beruft sich dabei auf die zwölf Apostel, die alle Männer waren. Die Diskussion ist ja voll im Gange, Papst Franziskus hat dem erst kürzlich den Riegel vorgeschoben. Man muss sich überlegen, was man aufgibt und was man dadurch gewinnt. Das ist schon ein Knackpunkt, den die Kirche da setzt und damit auf viel Unverständnis stößt.
Auch bei Ihnen?
Gast: Jein (lacht). Die Tradition ist halt so, ich kenne es nicht anders. Es gibt pastorale Berufe, in denen Frauen wirken und auch wirklich Gutes wirken. Es gibt sicher die ein oder andere Frau, die das Zeug zum Pfarrer hätte. Sollte es sich dahingehend öffnen, werde ich es auch akzeptieren.
Gibt es unter Ihren Ministranten geeigneten Priesternachwuchs?
Gast: Beim ein oder anderen könnte man schon meinen, dass er einen kirchlichen Beruf ergreifen könnte. Gerade in dem Alter nach der Kommunion sind sie dafür sehr zu begeistern.
Bis die Pubertät kommt.
Gast: Dann lässt es wieder nach. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, dass sie vielleicht irgendwann umdenken und den Glauben neu entdecken.