Gabriel legt den Finger in die TTIP-Wunde
Leitartikel Die Chancen für einen Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen Europa und den USA sind schlecht. Für das Fiasko sind die Unterhändler verantwortlich
VON STEFAN STAHL
Natürlich befindet sich SPDChef Sigmar Gabriel im Wahlkampfmodus. In mageren Zeiten für die Sozialdemokraten versucht er zu punkten, wo es eben geht. So hat der zu eruptiven Ausbrüchen neigende Bauch-Politiker etwas gesagt, was vielen Wählern seiner Partei gefallen wird und zugleich richtig ist. Mit seiner Diagnose, dass die Verhandlungen zwischen Europa und den USA über das Freihandelsabkommen TTIP de facto gescheitert seien, trifft der Rote ins Schwarze.
Denn nach drei Jahren wirken die Positionen auf beiden Seiten nach wie vor verhärtet. Die Repräsentanten aus den USA und der EU haben sich in entscheidenden Fragen nicht – wie notwendig – Meter um Meter angenähert, sondern allenfalls zentimenterweise Kompromisswillen dokumentiert. Dabei ist der Eindruck entstanden, dass die USUnterhändler unnachgiebiger als die Vertreter diesseits des Atlantiks auftreten. Daher argumentiert Gabriel gezielt populistisch: Europa dürfe sich Amerika nicht unterwerfen. Diese Einlassung findet in einem zunehmend nationalistischen Klima nickende Abnehmer.
Denn in Europa macht sich immer mehr eine saturierte AntiHaltung breit. Hier mischt sich an den linken und rechten Rändern der Gesellschaft Anti-Amerikanismus mit Anti-Globalisierungsund -Freihandelshaltung. Hinzugesellt sich Anti-Liberalismus, der in die Mitte der Gesellschaft ragt.
Das ist ein denkbar schlechtes Klima, um einen Freihandelsvertrag zum Abbau wachstumshemmender Zölle und zur überfälligen Angleichung von Normen zu schaffen. In Europa und in den USA sehnen sich Bürger zunehmend nach Nationalismus und Abschottung. Das geht mit einem starken Misstrauen gegen Eliten einher.
Immer mehr Klein- und Wutbürger stehen leider nur wenigen Weltbürgern gegenüber. Es ist eine gefährliche Stimmung des Unbehagens entstanden, die von ungeschickten TTIP-Unterhändlern befördert wird. Denn die Abgesandten glauben im Zeitalter der durch soziale Medien erzwungenen Transparenz, wie Geheimbündler auftreten zu können. So versuchen sie, Standards zur Lebensmittel- und Medikamentensicherheit zu vereinheitlichen, ja die US-Seite will umstrittene private Schiedsgerichte durchdrücken, vor denen Konzerne Staaten verklagen können. Das ist ein perfekter Nährboden für Verschwörungstheorien, auch wenn sich vieles bei sachlicher Betrachtung als weniger dramatisch erweist.
Zur mangelnden Transparenz gesellte sich der TTIP-Kardinalfehler: Ob Amerika oder Europa – beide Parteien haben zu viele Themen in die Verhandlungen hineingepackt. Der daraus sprechende Optimismus mutet naiv an, gibt es doch unterschiedliche transatlantische Kulturen, etwa im Verbraucherschutz. In den USA gilt das Wissenschafts- oder Nachsorgeprinzip. Wenn sich durch Studien erhärtet, dass ein Produkt sicher ist, kommt es schneller als in Europa auf den Markt. Tauchen Probleme auf, können Hersteller auf horrende Zahlungen verklagt werden. In der EU dominiert aber das Vorsorgeprinzip. Es muss vorab erwiesen sein, dass eine Ware gefahrlos ist.
Solch traditionell bedingte mentale Gräben sind schwer zu überwinden. Scheitern die Verhandlungen, sollte 2017, wenn der Machtwechsel in den USA vollzogen ist, ein neuer Gesprächsanlauf gewagt werden, allerdings mit abgespecktem Programm. Für ein „TTIP light“würde es reichen, Zölle abzuschaffen sowie sich zum Beispiel im Bereich der Autoindustrie auf einheitliche Blinker und dergleichen festzulegen. Am Ende ist weniger mehr. Ohne die Akzeptanz der Bürger fördert ein zu radikales Freihandelsabkommen die ohnehin schon unerträgliche Anti-Haltung.
Vielleicht gibt es noch eine Chance für ein „TTIP light“