Abschied von einem, der mal „Schweini“war
Heute Abend hat Bastian Schweinsteiger seinen letzten Auftritt in der Nationalmannschaft. Kein anderer Spieler hat sich in seiner Karriere derart gewandelt wie der Junge aus Kolbermoor
Düsseldorf Am Anfang hießen seine Mitspieler Oliver Kahn, Jens Nowotny, Torsten Frings oder Fredi Bobic. Bastian Schweinsteiger wurde zur Pause eingewechselt an jenem 6. Juni 2004 am Betzenberg in Kaiserslautern. Gegen Ungarn. Deutschland lag 0:2 zurück, und so lautete auch das Endergebnis.
„Schweini“, wie sie ihn liebevoll nannten, trug die Haarspitzen blond gefärbt, das Gesicht war leicht verpickelt. Er zupfte nervös sein viel zu weites Trikot zurecht, zog, zwei oder drei Mal, seine Hose passend über die Taille, erhielt einen Klaps von Co-Trainer Michael Skibbe und marschierte drauflos in seine DFBZukunft.
Deutschland hatte auf einen wie ihn gewartet: Unbekümmert, jung, dynamisch, anders. 30 Minuten später folgte das Debüt von Lukas Podolski. Noch so einer. Poldi und Schweini – es dauerte kaum Wochen, bis sie bei Thomas Gottschalks „Wetten, dass..“auf der Couch saßen. Die Nation fragte sich: Sind diese beiden Deutschlands bessere Fußball-Zukunft?
Zwölf Jahre und zweieinhalb Monate später sitzt Schweinsteiger gestern Mittag in einem Düsseldorfer Autohaus. Vor seinem Abschiedsspiel heute gegen Finnland in Mönchengladbach (20.45 Uhr/ZDF), bei seiner letzten Pressekonferenz beim DFB, die „er immer so geliebt hat“, wie DFB-Medienmann Uli Voigt an seiner Seite ironisch feststellt. Bei der EM in Frankreich vor einigen Wochen war der Kapitän nicht ein einziges Mal vor die Presse getreten. Bastian Schweinsteiger hat gemerkt, dass man als Star ernster genommen wird, wenn man sich rarmacht.
Schweinsteigers Haut ist längst geglättet, die Haare sind grau meliert, viel zu grau für einen 32-Jährigen. Der Junge aus dem bayerischen Kolbermoor, der als Kind ein guter Skifahrer war, und sich gestern, als ihn ein norwegischer Journalist ob des WM-Qualifikationsspiels in Oslo am Sonntag nach norwegischen Fußballern fragt, eher an die Skifahrer „Lasse Kjus oder Kjetil Andre Aamodt“erinnert denn an einen Kicker, hat eben den Ball ziemlich gut im Griff, aber nicht die Natur.
Wenn man es genau nimmt, hat dieser Schweinsteiger vielleicht Deutschlands beste Fußball-Phase eingeläutet, mitbestimmt, zeitweise dominiert, mit einem Wort: geprägt. Er war frech und selbstbewusst, vielleicht war er auch unbekümmert, als er „Schweini“war. Aber unbekümmert ist er nicht geblieben, und auch nicht „Schweini“.
Schweinsteiger ist professionell geworden, wie man das 2004 nie für möglich gehalten hätte. Jetzt ist er einer, der zuerst nachdenkt und dann spricht. Einer, der nicht so witzig-frech wie Podolski oder Thomas Müller blödelt. Teamintern vielleicht, aber immer seltener öffentlich. Er ist jetzt einer, der irgendwo zwischen allem liegt: Zwischen Michael Ballack, von dem er den Wunsch nach Respekt und Demut junger Spieler übernommen hat. Und er liegt zwischen Philipp Lahm, der bei der WM 2010 gegen Ballack ziemlich offen opponiert hatte und in dessen Fahrwasser Schweinsteiger mit an die Spitze der Nationalelf gespült wurde. Man hatte seinerzeit den Eindruck, ganz angenehm sei ihm das nie gewesen. Weil er, Schweinsteiger, lieber auf dem Platz führen wollte, als neben dem Platz als Führungsspieler befragt zu werden.
Als Lahm Weltmeister und Geschichte war, wurde Schweinsteiger DFB-Kapitän. Er hatte sich mit Wunde und Kampfgeist beim Finalsieg gegen Argentinien die letzten Merkmale eines Anführers erworben, die es nicht einmal mehr gebraucht hätte. Aber sie werden ihn jetzt ewig verfolgen. Weltmeister bleibt man für immer.
Hätte die EM 2016 überhaupt noch sein müssen? „Ich wollte noch mal voll angreifen, die EM war mein Ziel. Ich hab mir im Urlaub jetzt die Frage gestellt, ob ich die gleiche Leidenschaft noch für die WM 2018 aufbringen kann. Da musste ich ehrlich zu mir sein und die Frage mit Nein beantworten“, sagt er.
Schweinsteiger wirkt aufgeräumt, dabei nimmt seine Karriere gerade einen unwürdigen Verlauf bei Manchester United in der Premier League. Trainer José Mourinho hat ihn trotz Vertrags bis 2018 aussortiert, will den alternden Weltmeister nicht mehr.
Und der wiederum will keinen Meter zurückweichen, sich Optionen offenhalten, bloß keinen Fehler machen. Denn bei einer Trennung von Manchester United kann es noch einmal um sehr viel Geld gehen. Deshalb sagt er arbeitsvertragsgemäß: „Mein Traum ist es, für Manchester United zu spielen und der Mannschaft zu helfen.“
Einen Wechsel innerhalb Europas werde es nicht mehr geben. Allenfalls in die USA könnte es noch gehen. „Amerika ist natürlich eine Option“, sagt er. Und er lächelt die Probleme weg: „Trotz der Situation geht es mir gut. Ich weiß, was ich will. Wenn ich eine faire Chance bekomme, glaube ich daran. Ich habe bei der EM im Halbfinale gestanden für eine Mannschaft, die amtierender Weltmeister ist.“Es ist so etwas wie eine letzte Kampfansage. Es ist ja noch nicht alles vorbei.
Testspiel Deutschland – Finnland, Mittwoch, 20.45 Uhr, live im ZDF
Voraussichtliche Aufstellung Neuer (Bayern ) – Kimmich (Bayern), Tah (Leverkusen), Hummels (Bayern), Hector (1. FC Köln) – Schweinsteiger (Manchester United), Kroos (Real Madrid) – Brandt (Leverkusen), Özil (FC Arsenal), Draxler (Wolfsburg) – Volland (Leverkusen)