Die Winterstörche sind weg
Während der langen Frostperiode haben die meisten ihre Horste in der Region verlassen. Nur noch ein paar Hartgesottene sind da. Aber wo sind die anderen hingeflohen?
Augsburg Zu gerne würde Anton Burnhauser wissen, wo die Winterstörche in der dreiwöchigen Kälteperiode im Januar hingeflogen sind. Fakt ist: „Es sind nur noch die Hartgesottenen da“, sagt der Weißstorchexperte aus Augsburg. Von den 108 schwäbischen Brutpaaren des letzten Jahres sind etwa 55 Störche dageblieben, fast durchwegs paarweise. Die anderen hatten sich bereits im Spätsommer auf den Weg in den warmen Süden gemacht.
Dorthin seien die verschwundenen Überwinterer jetzt sicher nicht geflogen, sagt der Biologe. Um diese Jahreszeit fehle die Thermik. Die lange Reise wäre also zu anstrengend für die großen Vögel. Burnhauser vermutet vielmehr, dass sich viele im Bodenseeraum aufhalten. Oder im angrenzenden Elsass. Dort gebe es schon länger eingerichtete Futterstellen, die erfahrenen Winterstörchen bekannt sein dürften.
Was jetzt stattgefunden hat, sei kein „Zug“, sagt Burnhauser. Dafür war es zu spät. „Wer bis Spätherbst bleibt, der zieht nicht mehr.“Es handele sich vielmehr um eine Winterflucht. Bei widrigen Wetterver- hältnissen mit lang anhaltender Kälte und geschlossener Schneedecke suchen die Störche gemütlichere Plätze auf. Strecken bis zu 300 Kilometer sind für sie dabei kein Problem. Doch wer gibt das Kommando zum Aufbruch? Wer weist den Weg? Welche Tagesstrecke fliegen die Störche durch die kalte Winterluft? Burnhauser hat viele Fragen. „Wir wissen einfach viel zu wenig.“Aber er möchte fast wetten: „Anfang März sind alle wieder da.“
Immerhin 17 Störche haben auch während der Kälteperiode hier aus- geharrt: Etwa in Pöttmes (Kreis Aichach-Friedberg), Leipheim und Thannhausen (Kreis Günzburg) oder in Lauterbach (Kreis Dillingen). Wie halten diese Vögel durch, wenn fast alle Tümpel, Gräben und Bäche vereist sind, sogar die Wörnitz (Kreis Donau-Ries) zugefroren ist? „Sie schalten auf Energiesparmodus“, sagt Burnhauser. Sie machen sich klein, um weniger Wärme abzugeben, ziehen den Kopf ein. Zum Futtersuchen durchwaten sie offene seichte Fließgewässer oder fliegen zu Weideflächen, wo robuste Rinder oder Pferde stehen. Die Tiere wühlen mit ihren Klauen und Hufen den Boden auf, sodass die Störche leichter an kleine Beutetiere wie Mäuse herankommen. Zu finden gibt es im Winter auch immer etwas an Grüngut-Annahmestellen – Essensreste und Ungeziefer wie Ratten. Spezialisten sind hier die Thannhauser und Unterknöringer Störche, sagt Burnhauser.
Dieser Winter, mit einer seit langem wieder einmal längeren Frostperiode, zeigt dem Biologen einmal mehr: Die ursprünglichen Zugvögel haben eine neue Überlebensstrategie entwickelt, die offenbar funktioniert. „Die Störche müssen nicht gefüttert werden.“Burnhauser sagt ganz klar: „Es ist nicht notwendig, sich um sie zu kümmern. Das wäre biologisch verkehrt.“Er ist sicher, dass kein verhungerter Storch gefunden wird. Es zeichne sich im Übrigen ab, dass die Zahl der Vögel, die hier überwintern, stagniert. Das ist in seinen Augen eine erfreuliche, weil zunehmend artgerechte Entwicklung. „Wenn Zug um Zug auch die künstlichen Futterquellen verschwinden, kann man vielleicht schon bald wieder von einer echten Wildpopulation sprechen.“