„Die Türkei schafft die Demokratie ab“
Der CDU-Politiker Ali Toprak beschreibt, wie Staatschef Erdogan ganz gezielt die türkeistämmige Gemeinschaft bei uns spaltet. Er sagt auch, was die deutsche Politik falsch gemacht hat und was sie in Zukunft ändern sollte
Ihre Partei, die CDU, ist gespalten, wenn es darum geht, ob türkische Politiker in Deutschland für das Referendum zur Installation eines autoritären Präsidialsystems werben dürfen. Auf welcher Seite stehen Sie? Ali Ertan Toprak: Die Parteibasis ist in dieser Frage überhaupt nicht gespalten. Die überwiegende Mehrheit will keinen ausländischen Wahlkampf auf deutschem Boden. Da muss ich meiner Parteiführung leider einen Vorwurf machen. Die Türkei schafft die Demokratie ab, will aber von unserer Demokratie profitieren. Da müssen wir Demokraten „stopp“sagen. Die Bundesregierung hätte ihre politische Verantwortung nicht auf die Kommunen abwälzen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies auch unmissverständlich deutlich gemacht. Toprak: Die Botschaft unserer Bundesregierung hätte von Anfang an klar sein müssen: Ihr seid hier in Deutschland in einem liberalen Land groß geworden; einem Land, das euch Bildung, Freiheit, Demokratie und soziale Sicherheit gewährt hat. Doch wer hier lebt, hat unsere Werte zu respektieren: Dazu gehören Meinungsfreiheit, Aufklärung, Gewaltenteilung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Gleichwertigkeit aller Menschen. Wir dürfen Erdogan und seinen Leuten bei uns keine Bühne bieten. Doch wir haben uns durch den Flüchtlingsdeal erpressbar gemacht. Es ist traurig, dass wir vor Ankara kuschen – das habe ich Bundeskanzlerin Angela Merkel übrigens auch direkt ins Gesicht gesagt. Toprak: Ein abgestimmtes Vorgehen würde verhindern, dass man die EU-Länder mit einem relevanten Anteil von Menschen mit türkischen Wurzeln gegeneinander ausspielen kann. Österreich und die Niederlande fahren eine harte Linie, während Deutschland und Frankreich die Auftritte bisher zulassen. Das ist doch kein gutes Bild, das die EU hier abgibt. Toprak: Das ist nichts anderes als Beschwichtigungspolitik. Seit Jahren ist Deutschland extrem vorsichtig, wenn es darum geht, offensichtliche Missstände in der Türkei zu benennen. Das war schon so, als die Polizei mit großer Brutalität gegen die friedlichen Besetzer des Gezi-Parks in Istanbul vorgegangen ist. Und das auch nicht anders, als es darum ging, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzukreiden, die die türkische Armee und Sicherheitskräfte im Krieg gegen die Kurden begangen haben und bis heute begehen. Sogar ein aktueller UN-Bericht hat diese Verbrechen eindeutig belegt und verurteilt. Toprak: Ich bin grundsätzlich für eine friedliche Lösung dieses Konfliktes in der Türkei und ihren Nachbarländern. Gewalt lehne ich entschieden ab. Das sollte für beide Seiten gelten. Allerdings glaube ich, dass die PKK nicht die Ursache, sondern das Resultat des Konfliktes ist. Dennoch, wer unsere demokratischen Regeln hier nicht akzeptiert, muss die Konsequenzen unseres Rechtsstaates spüren. Toprak: Präsident Erdogan und seine Minister betätigen sich leider äußerst erfolgreich als Spalter der türkeistämmigen Gemeinschaft in Deutschland. Als ich jung war, gab es auch schon Türken, die sich entweder durch ihre Religion oder durch ihre politischen Überzeugun- unterschieden haben. Doch damals hat man das nicht offen ausgetragen. Man hat sich unterhalten und es gab auch Freundschaften unter den Gruppen. Und das ist meine große Sorge: Heute reden wir gar nicht mehr miteinander.
Toprak: Es ist genau das passiert, wovor ich und viele andere Türkeistämmige gewarnt haben. Über viele Jahre wurde die Gefahr einer Parallelgesellschaft an die Wand gemalt, die unter Türken und anderen Gruppen mit Migrationshintergrund zu entstehen droht. Doch die Realität ist weit schlimmer: Da ist nicht eine Parallel-, sondern eine Gegengesellschaft entstanden. Von Leuten, die unser demokratisches System rundweg ablehnen. Das habe ich schon angesprochen, als ich noch bei den Grünen Mitglied war. Toprak: Gar nicht. Das ist noch nicht einmal im Ansatz ernstgenommen worden. Die meisten Grünen sehen Migranten automatisch in der Opwar ferrolle. Dass von ihnen eine Gefahr ausgehen könnte, war lange weit außerhalb der Vorstellungskraft. Die Bedrohung durch Islamismus wurde systematisch kleingeredet. Lieber hat man mit der von der Türkei aus gesteuerten islamischen Ditib zusammengearbeitet. Was zur Folge hat, dass in den Moscheen bei jedem Freitagsgebet die türkische Regierungspolitik gepredigt wird. So konnte Ditib seine Desintegrationspolitik systematisch verbreiten. Umso größer ist jetzt der Schock, dass so viele Deutsch-Türken Erdogan zujubeln. Deswegen sah ich auch keine Zukunft für mich bei den Grünen. Toprak: Sehr stark. Erdogan hat ja die türkeistämmigen Deutschen ganz offen dazu aufgerufen, die Gegner seiner Politik auszuspionieren. Genau dies geschieht jetzt in großem Stil. Auf Facebook bekomme ich ständig Warnungen wie: „Ich habe Dich gemeldet“oder „wir warten auf Dich“. Vielen, vielen anderen geht es genauso. Jeder, der gegen die AKP öffentlich Stellung bezieht, steht auf der Liste und wird als Terrorist bezeichnet. Toprak: Das größte Problem ist, dass die Türken, die sich mit der Demogen kratie und Deutschland identifizieren, lange nicht als vollwertige Deutsche wahrgenommen wurden. Und nun, wo der Druck durch die Erdogan-Anhänger immer höher wird, fehlt es an Schutz und Rückendeckung. Da geht es ja auch um Emotionen. Gerne hätten wir ein Bekenntnis gehört in der Richtung: Wenn ihr eure Rechte und Pflichten kennt und wahrnehmt, gehört ihr zu uns. So hätte man Identifikation – ausgerichtet an einer deutschen Leitkultur – aufbauen können. Aber da kam nicht viel. So sind viele junge Deutsch-Türken an die Türkei verloren gegangen. Toprak: Ich bin zwar in Ankara geboren, aber schon als kleines Kind nach Deutschland gekommen. Ich habe mich früh dafür entschieden, dass das mein Land ist. Auch wenn das nicht immer einfach war. Als ich in Recklinghausen zu meiner ersten Sitzung als frisch gewählter Stadtrat kam, haben die anderen Räte mich gefragt, wie es denn so laufe mit meinen türkischen Landsleuten. Das fühlte sich an wie eine symbolische Ausbürgerung. Obwohl man einen deutschen Pass hat, wird man auf die Herkunft reduziert und wird nicht immer als vollwertiger Deutscher anerkannt. Toprak: Das ist ein trauriges Thema. Ich fühle mich als Deutscher und will dazu beitragen, dass dieses Land erfolgreich ist. Und doch habe ich Verwandte und Freunde in der Türkei, die ich aber nicht besuchen kann. Denn leider darf ich nicht mehr in die Türkei einreisen. Das ist wie im Kalten Krieg.
Ali Ertan Toprak wurde im Jahr 1969 in der türkischen Hauptstadt Ankara geboren. Im Alter von zwei Jahren kam er nach Deutschland, wo er in Hamburg und Recklinghausen (Nordrhein Westfa len) aufwuchs. Nach dem Abitur stu dierte er Rechtswis senschaften. Von 1998 bis 2000 ar beitete Toprak als persönlicher Refe rent für den Grü nen Spitzenpolitiker Cem Özdemir im Bundestag. Von 2006 bis 2013 war er ständiger Teil nehmer des Inte grationsgipfels der Bundesregierung. To prak verließ die Grünen und wechselte 2014 zur CDU. Er ist Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutsch land (KGD).
„Die meisten Grünen sehen Migranten automatisch in der Opferrolle.“
Ali Ertan Toprak