„Wer bin ich heute Abend?“
Interview Im Sensemble-Theater gibt es eine neue Reihe mit Improvisationstheater. Schauspieler und Regisseur Jörg Schur über sein jüngstes Projekt, das dramaturgisch auf ihn zugeschnitten ist
Ihre neue Impro-Show heißt „I Am Schur“. Dabei sind Sie genau das nicht, sondern erfinden an jedem der bisher vier geplanten Abende eine neue Figur nach Anregungen des Publikums – weshalb also der Titel? Jörg Schur: Zum einen darf ich aufgrund meines 20-jährigen BühnenJubiläums am Sensemble ein bisschen mit meinem Namen kokettieren, dann bietet sich das Wortspiel mit dem Englischen ja an, aber vor allem möchte ich mich den Figuren, die ich spielen werde, tatsächlich so nähern, dass man „sure“, also sicher sein kann, sie authentisch zu erleben. Wenn man Impro-Schauspiel macht, reißt man sonst ja permanent neue Charaktere an und steckt diese dann – wie im echten Leben – schnell in Schubladen. Ich habe dieses Format entwickelt, weil ich mir den Raum und die Zeit nehmen wollte, einen Abend lang nur eine Figur in den Fokus zu rücken und differenziert zu betrachten. Schur: Das Ganze findet auf der kleinen Bühne in der Bar statt, also nah am Publikum. Ich werde immer Männer in ungefähr meinem Alter, also um die 50, spielen und mir vom Publikum sagen lassen, ob ich Arzt oder Bäckermeister, in welcher Beziehungssituation und mit was für Charakterzügen ausgestattet ich sein soll. Daraus entwickle ich eine Grundfigur, zu der ich im Lauf des Abends Emotionen oder Konflikte abfrage und spiele. Ich stelle es mir wie bei einem Marionettenspieler vor, der den Zuschauern die Puppe zwar zeigt, aber die Fäden selbst in der Hand hält. Unterstützt werde ich dabei von Fred Brunner, der alles mit Musik und Geräuschen untermalt, und jeweils einem weiblichen Gast.
In der Ankündigung zum Stück heißt es, das Publikum fungiere als Tagebuch Ihrer Figuren … Schur: Genau, denn wem vertraut man sich in Zeiten von Facebook und Twitter noch wahrhaft ehrlich an? Dem Tagebuch! Ich habe dieses Stilmittel gewählt, weil man im Tagebuch nichts beschönigt, sondern ihm auch mal Wutausbrüche oder Fantasien anvertraut, denn das bleibt ja unter uns. Schur: Etwas von allem, denn in einem Menschenleben steckt ja auch alles drin. Im besten Fall hat man am Ende des Abends eine Figur gesehen, die einem komplexer erscheint, als man zunächst dachte, und überlegt, ob man im Bekanntenkreis vielleicht auch jemanden hat, den man längst in eine Schublade gesteckt hat, den aber noch einmal anders zu entdecken lohnt. Wie haben Sie den ersten Abend von der Bühne aus erlebt? Schur: Das Publikum war sehr charmant und hat das Format mit tollen Ideen unterstützt, sodass es richtig gut funktioniert hat: Manche wollten alles genau wissen über den Mathematik-Lehrer Jonathan-Thilo Schwarz und seine Patchwork-Familie – ihn und seine Beziehungen, Konflikte und Träume zu spielen, hatten die Zuschauer mir aufgetragen. Ich glaube, uns ist die Gratwanderung gelungen zwischen vielen lustigen Momenten und solchen, bei denen ich in die Tiefe gehen konnte – auch dank meiner Spielpartnerin Monika Eßer-Stahl und der Liveerotische musik von Fred Brunner. Gut war, dass wir am Ende noch offene Fragen szenisch geklärt und Fäden zusammengefügt haben, das werde ich für die folgenden Abende wohl beibehalten. Ich habe mich über den langen Applaus gefreut und fühle mich bestätigt, dass dieses neuartige Impro-Format gut ankommt.
Weitere Vorstellungen am heutigen Donnerstag, am 6. April und am 13. Mai sind bereits ausverkauft, Karten für den 1. Juni gibt es beim AZ Karten service oder beim Sensemble unter der Nummer 3494666 oder karten@sensemble.de