Wie Assads Armee Giftgas gegen Kinder einsetzt
Bei einem verheerenden Angriff sterben rund 60 Menschen. Nach eigenen Angaben hat das Militär seine chemischen Waffen längst vernichtet. Doch spätestens seit gestern glaubt kaum noch jemand, dass das stimmt
Damaskus Die Bilder aus Syrien sind kaum zu ertragen. Sie zeigen Opfer eines Luftangriffs auf ein Rebellengebiet, bei dem Giftgas eingesetzt worden sein soll. In einem Film liegen die Leichen von mehreren Kindern nebeneinander, fahle Gesichter mit halb geöffneten Mündern und starren Augen. Äußerliche Verletzungen sind an ihnen nicht zu erkennen, jedenfalls nicht in dieser Sequenz. Auf einer anderen Aufnahme behandelt ein Helfer ein kleines Kind, vielleicht zwei Jahre alt, mit Sauerstoff, um sein Leben zu retten. Das Kind zittert am ganzen Körper.
Über Stunden kursierten gestern immer neue Opferzahlen aus der Stadt Chan Scheichun im Nordwesten Syriens durch die sozialen Medien. Die als zuverlässig bekannte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte 58 Tote und dutzende Verletzte, viele in ernstem Zustand. Andere Quellen meldeten sogar 100 Tote und 400 Verletzte. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. „Niemand weiß, wie viele Menschen getötet worden sind“, berichtet der Aktivist Abu Madschd al-Chani, der in der angegriffenen Stadt lebt. „Die Menschen können das Gebiet nicht ohne Masken erreichen, und wir haben keine Masken.“
Allerdings sprechen auch die Aufnahmen, die im Internet kursieren, dafür, dass es eine große Zahl von Opfern gab. Auf manchen Bildern liegen die Opfer verstreut auf der Straße. Andere zeigen Opfer mit weißem Schaum vor dem Mund. In Video weist ein Arzt mit einer Taschenlampe auf die stark verkleinerten Pupillen eines Opfers – für ihn ein klares Anzeichen für einen Angriff mit Giftgas. Auch die große Zahl der Bilder von Opfern im Internet lässt kaum Zweifel zu, dass in Chan Scheichun tatsächlich Giftgas ausgeströmt ist. Und nicht nur das: Anders als bei anderen Angriffen der Vergangenheit konnten unabhängige Journalisten zu den Opfern vordringen und wurden selbst Zeugen weiterer Luftangriffe.
Fotoreporter konnten zahlreiche Fotos von den Folgen des Angriffs machen und sahen dabei auch viele leidende Kinder. Ein Reporter der Nachrichtenagentur beschrieb, wie er in der Klinik in Chan Scheichun vier Tote mit Schaum vor dem Mund gesehen habe, darunter ein kleines Mädchen. Später erlebte der Journalist aus nächster Nähe selbst mit, wie eine Rakete am Eingang der Klinik einschlug und Teile des Gebäudes zerstörte. Im Inneren des Krankenhauses kämpften Ärzte zu diesem Zeitpunkt um das Überleben unzähliger Opfer des Luftangriffs. Der Reporter sah, wie Ärzte zwischen den Trümmern die Flucht ergriffen. Ob es durch den Raketenbeschuss weitere Verletzte oder Tote gab, konnte er zunächst nicht feststellen.
Israelische Experten vermuten, dass bei dem Angriff das Nervengas Sarin eingesetzt wurde. „Wenn es wirklich Sarin war, bedeutet dies, dass weiterhin bedeutsame und hochgefährliche Bestände chemieinem
März 2017: Die Ärzte Hilfsorgani sation UOSSM berichtet von 70 ver letzten Zivilisten nach einem Giftgas angriff in der Stadt Hama.
Dezember 2016: Nach UOSSM Angaben werden nach einem Gift gasangriff in der Provinz Hama 93 Zi vilisten getötet und 300 verletzt. Die Syrische Beobachtungsstelle für Men schenrechte bestätigt die Berichte.
August 2013: Östlich von Damas kus werden bei Angriffen mit Giftgas rund 1400 Menschen getötet, darunter viele Kinder. Das Regime von Ba schar al Assad vernichtet nach interna tionalem Druck Chemiewaffen. scher Waffen in Syrien versteckt werden“, sagte Danny Shoham vom Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien. Wer aber ist dafür verantwortlich?
Oppositionelle Aktivisten beschuldigen Präsident Baschar al-Assad und die syrische Luftwaffe. Die Menschenrechtler machen dazu keine Angaben. Und Syriens Armee selbst weist den Vorwurf zurück. Die syrische Armee besitze überhaupt keine Chemiewaffen mehr, behauptet ein General der Regierungsstreitkräfte. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Syriens Militär in dem sechsjährigen Bürgerkrieg Giftgas benutzt. Erst im März war ein Bericht der UN-Menschenrechtskommission zu dem Schluss gekommen, dass Regierungskräfte in den vergangenen Monaten mehrfach Gebiete von Rebellen mit Chlorgas bombardierten.
Keine Hinweise fanden die Ermittler hingegen dafür, dass Syriens Verbündeter Russland für Giftgasangriffe verantwortlich war. Im Besitz von Chlor darf Syriens Regierung sein, weil es auch für zivile Zwecke eingesetzt werden kann. Alle anderen Arten von Chemiewaffen sind dem Land hingegen verboten. Im August 2013 starben beim verheerendsten Einsatz von Giftgas im Bürgerkrieg in einem Rebellengebiet
Assads Giftgasangriffe aufs eigene Volk Die Waffenruhe könnte damit endgültig gescheitert sein
östlich von Damaskus rund 1400 Menschen. Die USA drohten damals mit einem Militäreinsatz gegen Präsident Assad. Syrien stimmte zu, alle Chemiewaffen zu vernichten. Aber hat die Regierung das auch tatsächlich getan? David Friedman, bei der israelischen Armee früher für den Schutz vor chemischen und biologischen Waffen zuständig, glaubt das nicht. Man könne davon ausgehen, dass das syrische Regime weiterhin über Vorräte an Sarin- und Senfgas verfüge.
Die von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe, die den Weg zu einer politischen Lösung für den Konflikt bahnen soll, könnte nach diesem Angriff endgültig gescheitert sein. In den vergangenen Wochen war sie immer brüchiger geworden.