Weiter, immer weiter
Bei der Reichweite hat Opels neues Elektroauto Ampera-e klar die Nase vorn. An anderer Stelle fährt es umso deutlicher hinterher
Opel macht Schluss mit der Reichweitenangst und bringt mit dem Ampera-e ein Elektroauto auf den Markt, das mit einer Akkuladung 520 Kilometer weit kommen soll. Zugegeben, dieser Prospektwert wurde nach dem unrealistischen NEFZ-Messverfahren ermittelt; nach dem neuen WLTP-Standard kommt der Opel aber immer noch auf 380 Kilometer. Und selbst wenn es in der Praxis noch ein paar weniger sein sollten, stellt er damit die Mitbewerber – BMW i3, Nissan Leaf, Renault Zoe, aber auch den VW E-Golf – in den Schatten.
Allerdings hat Opel keine neue Hightech-Batterie entwickelt. Die Rüsselsheimer haben das Reichweitenwunder schlicht durch einen deutlich größeren Akku als bei der Konkurrenz realisiert. 60 Kilowattstunden Strom schlummern im Bauch des Ampera-e. Zum Vergleich: In der größten Ausbaustufe des BMW i3 steckt rund halb so viel Energie. Verbaut ist das über 400 Kilogramm schwere Akkupack zwischen den Achsen. Dort nimmt die Batterie am wenigsten Platz weg und der Innenraum fällt trotz der nur 4,16 Meter Länge ausgesprochen geräumig aus.
Jedoch sorgt der Stromspeicher im Boden dafür, dass die noch dazu recht eng geschnittenen Sitze unkomfortabel hoch montiert werden müssen. Beinfreiheit gibt es dagegen auch in Reihe zwei genügend, und in den Kofferraum geht mit 381 Litern zumindest das Gepäck für einen Kurzurlaub. Wer länger verreisen will, kann bei umgeklappter Rückbank 1274 Liter reinpacken.
Für größere Reisen braucht es aber nicht nur Platz, sondern vor allem eine vernünftige Schnellladeinfrastruktur: Ist die gegeben, kann mit Gleichstrom in 30 Minuten Energie für gut 150 Kilometer in den Opel gepumpt werden. An der Haushaltssteckdose dagegen fließt in der gleichen Zeit gerade mal Strom für sechs Kilometer in den Lithium-Ionen-Tank.
Deutlich flotter als das Laden geht das Stromverbrauchen: Der 150-kW-Motor sorgt mit 360 Newtonmetern Drehmoment dafür, dass der 1,7-Tonner nach kurzweiligen 3,2 Sekunden auf Stadttempo ist. Der kräftige Durchzug erlaubt sogar flotte Überholmanöver auf der Autobahn, allerdings ist die Vmax aus Stromspargründen auf 150 km/h begrenzt. Wie bei allen E-Autos wird beim Rollen und Bremsen Energie zurück in den Akku gespeist.
Wie stark die Rekuperation ausfällt, kann der Fahrer über den Automatikwählhebel und eine Lenkradwippe bestimmen; mit etwas Übung kann man auf die mechanische Bremse beinahe komplett verzichten. Wo wie viel Strom gerade hinfließt, sieht der Fahrer auf dem digitalen Kombiinstrument hinter dem Lenkrad und auf einem großen Touchscreen in der Mittelkonsole.
Beide Anzeigen sind allerdings auch der erste Hinweis darauf, dass der Ampera-e kein ganz echter Opel ist: Den Stromer haben die Rüsselsheimer zusammen mit ihrer Mutter GM, die ihn als Chevrolet Bolt vertreibt, entwickelt. Gefertigt werden beide in Amerika – und leider nach den dortigen Qualitätsansprüchen. Zwar sind die zur ersten Ausfahrt bereitstehenden Testwagen noch Vorserienexemplare, und da kann es durchaus sein, dass die schlecht entgrateten Kunststoffkanten, die nicht ganz bündig zusammengefügten Bauteile und die teilweise lose Verkleidung bald der Vergangenheit angehören. An der nicht besonders hochwertig wirkenden Materialauswahl dürfte sich dagegen nicht mehr viel ändern – schließlich fließt das meiste Budget in die riesige Batterie.
Hier hat BMW mit dem i3 die Nase vorn! Das gilt auch für das Fahrverhalten: Das Fahrwerk ist reichlich straff, die Lenkung wirkt stellenweise unpräzise und der Motor hat so viel Kraft, dass das ausschließlich an die Vorderräder gehende Drehmoment mitunter ordentlich am Volant reißt.
Ein tiefes Loch reißt der Opel in die Haushaltskasse: Mindestens 39330 Euro müssen für den Ampera-e bezahlt werden – selbst abzüglich der 4000 Euro Umweltprämie von Bund und Industrie steht der Gegenwert eines ordentlich ausgestatteten Opel Insignia auf der Rechnung. Gut bestückt ist der Ampera-e immerhin auch, lediglich die Lederausstattung, ein Assistenzpaket und die Sitzheizung müssen extra gekauft werden.
Nicht erhältlich ist dagegen, neben einem Abstandstempomat, ein Navigationssystem – die Routenführung muss immer über das per Apple CarPlay oder Android Auto angeschlossene Smartphone erfolgen. Mit ihrer myOpel-App bieten die Rüsselsheimer außerdem die Möglichkeit einer „Elektro-Navigation“, die den aktuellen Akkustand berücksichtigt und bei Bedarf Ladesäulen mit einbezieht.
Ob Opel den Elektromarkt in Schwung bringen kann, hängt aber nicht nur davon ab, ob der Stromer die Kunden überzeugt, sondern auch von der Verfügbarkeit der Autos. Wie viele aus Amerika nach Europa kommen, ist ungewiss, deswegen geht der Ampera-e vorerst nur in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Norwegen an den Start – und allein die Skandinavier haben 4000 Fahrzeuge vorbestellt. Dass für den heimischen Markt mehr als ein paar hundert Einheiten in diesem Jahr übrig bleiben, ist unwahrscheinlich. Kein Wunder, dass Opel in Deutschland nur 40 Händler überhaupt mit dem Ampera-e-Verkauf beauftragt hat.