Die erste Adresse, wenn’s was zu versilbern gibt
Jubiläum Vor 250 Jahren gründete ein cleverer Schotte das Auktionshaus Christie’s. Seither landet hier Wertvolles wie Kurioses unter dem Hammer. Und immer wieder kommen spektakuläre Kunst-Deals zustande
London Von eleganter Lässigkeit muss dieser Mann gewesen sein, freundlich und selbstgewiss. So jedenfalls porträtierte ihn sein Malerfreund Thomas Gainsborough. Wenn man Geschäfte machen will, ist das wichtiger als die fachliche Kompetenz. Böse Zungen behaupteten sogar, James Christie (1730– 1803) hatte gar keine Ahnung von Kunst und verließ sich auf das Urteil einer „Künstlerclique“. Wie dem auch sei, der clevere Schotte schuf vor 250 Jahren in London ein Auktionsimperium, das bis heute an den zentralen Strippen des Kunstmarkts zieht – bei einem Jahresumsatz von nahezu 6 Milliarden Euro.
Wenn wieder ein paar von Monets Seerosen aus irgendeinem Sammlertümpel auftauchen oder die Juwelen einer Hollywood-Diva zu versilbern sind, vertraut man Christie’s. So kamen denn auch hier die beiden teuersten Kunstwerke der Geschichte am New Yorker Zweitsitz unter den Hammer: 2015 waren das Picassos „Frauen von Algier“für 179 Millionen US-Dollar und ein „Liegender Akt“von Amedeo Modigliani zum Preis von 170 Millionen Dollar. All das ist ausführlich und höchst amüsant in einem 500 Seiten starken Band unter dem Titel „Zum Ersten, zum Zweiten“nachzulesen, der nun in deutscher Übersetzung erscheint.
Dass die Auktion, mit der alles seinen Anfang nahm, bereits im Dezember 1766 an der Londoner Pall Mall stattgefunden hat, können pedantische Nachrechner verschmerzen: Im Angebot waren unter anderem Nachttöpfe, ein Federbett und größere Mengen Madeira. Erst vier Monate später, im März 1767, kamen dann Gemälde und Geschmeide zur Versteigerung.
Christie hatte ein phänomenales Gespür und bald auch die richtigen Kontakte. Bedeutende Künstler wie Joshua Reynolds oder der genannte Gainsborough, Gelehrte und Vermögende gingen bei ihm ein und aus. Dazu kamen die ersten öffentlichen Ausstellungen im Vorfeld der Auktionen und heiß begehrte Partys. Wer auf der Gästeliste stand, galt als stilbewusster Connaisseur – besser hält man seine Kundschaft bis heute nicht bei Laune.
Mit dem Aufschwung wurde übrigens die Basis zunehmend solider. Christie engagierte Fachleute, denn mit der richtigen Expertise ließen sich Kunst und Kostbarkeiten noch viel besser verkaufen. Auch das ist nach wie vor ein probates Mittel und Voraussetzung für einen „seriösen“ Besitzerwechsel. Man wundert sich nicht, dass Christie dann gleich beim spektakulärsten Kunst-Deal des 18. Jahrhunderts die Finger im Spiel hatte: 1779 gingen 200 wertvolle Objekte aus der Sammlung von Premierminister Robert Walpole im Paket an Zarin Katharina die Große – ohne Auktion und für damals astronomische 40550 Pfund. Die erworbenen Rubens und Rembrandts, van Dycks und Poussins hängen seither in der Petersburger Eremitage.
Konkurrenz gab es seinerzeit nicht wirklich. Sotheby’s mag zwar 22 Jahre früher gegründet worden sein, handelte zunächst aber ausschließlich mit Büchern und wurde erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zum ernstzunehmenden Mitbewerber. Bis dahin landete alles Wesentliche bei Christie’s. Und wenn es dem Adel schlecht ging, umso besser Geschäft. Die Französische Revolution katapultierte das englische Auktionshaus in sagenhafte Gewinnzonen, und der Erste Weltkrieg sorgte für einen regelrechten Hype auf dem Juwelen-Sektor.
Heute haben es die 2500 Mitarbeiter in weltweit elf Dependancen mit 80 Sparten zu tun. Neben den klassischen Domänen sind das immer häufiger Alltagsgegenstände, die durch ihre Verbindung mit den Schönen, Berühmten und Mächtigen aberwitzige Summen erzielen. „Star Trek“-Fans lassen sich Spocks spitze Ohren schon mal 3300 Dollar kosten. Das sind allerdings Peanuts gegen das Miniaturmodell des Raumschiffs Enterprise, das 2006 für eine gute halbe Million Dollar wegging.
Auch James Bond ist ein Goldbringer, von den diversen Fahrzeugen des königlichen Agenten bis zur vergoldeten Reiseschreibmaschine seines Erfinders Ian Fleming – für 140000 Dollar (1995). Pelés gelbes WM-Siegershirt von 1970 hat 2002 dann schon 225000 Dollar eingespielt. Die eng anliegende Glitzerrobe, in der die Monroe ihrem „Mr. President“lasziv „Happy Birthday“säuselte, war einem Verehrer 1999 weit über eine Million Dollar wert. Und selbst das wenig aufregende blaue Wollkreppkostüm der Eisernen Lady brachte es 2015 auf erstaunliche 41 000 Dollar. Albert Einsteins speckige Lederjacke für immerhin 110500 Pfund (130000 Euro) war im Juli 2016 der bislang letzte aufsehenerregende „Modetransfer“. Und man vergisst dabei fast, dass zwischendurch Raffaels und Rembrandts und natürlich van Goghs, Degas und immer wieder Picassos aufgerufen wurden.
Wie es weitergeht? Mit Guillaufürs me Cerutti wurde vor einem Jahr ein neuer Vorstand vom Konkurrenten Sotheby’s abgeworben. Am Londoner Standort South Kensington beschert der nun 250 Mitarbeitern die Entlassung. Mehr sickert nicht durch, und Zahlen müssen nicht veröffentlicht werden, denn das Unternehmen gehört seit 1998 dem französischen Multimilliardär und Kunstsammler François Pinault.
Die Konkurrenz schläft jedenfalls nicht, und wer weiß, wie der medial begabte James Christie heute unterwegs wäre. In der Post-Brexit-Ära womöglich mit raffinierten Internet-Strategien? Oder doch entspannt lächelnd das Ende der Cyber-Hysterie abwartend?
Zum Ersten, zum Zweiten – 250 Jah re Kulturgeschichte und Sammel leidenschaft bei Christie’s. Phaidon, 496 S., 49,95 ¤