Was für eine Frau!
Geschichte Noch immer wird um Gleichberechtigung gerungen – und um das rechte Verhältnis von Freiheit und Liebe. Wie Emma Herwegh, geboren vor 200 Jahren, zum Vorbild wurde
Die bislang größte Demonstration gegen Donald Trump und das aktuelle Erstarken reaktionärer Kräfte weltweit hieß „Women’s March“: 500 000 Menschen allein in Washington, die im Namen der Frauenrechte für eine offene Gesellschaft auf die Straße gingen. Kurz darauf sorgte die aktuelle Frontfrau des Feminismus für Wirbel, die Britin Laurie Pennie, weil sie forderte: Technische Fortpflanzungsmethoden müssten vorangetrieben werden, um Frauen aus natürlicher Benachteiligung zu befreien. Gleichzeitig verkauft das französische Mode-Label Dior für 550 Euro (!) einfache weiße T-Shirts mit den schlicht schwarz aufgedruckten Großbuchstaben „WE SHOULD ALL BE FEMINISTS“: Wir sollten alle Feministen sein. Und dann erschien noch in Deutschland ein neues Frauenmagazin, Ableger der klassischen Brigitte, einfach F Mag genannt. Zuständig nicht für Diäten, Bikinitipps und Promigequassel, sondern zuständig für „Politik, Sex & Lametta“. Weiblichkeit 2017.
Als Emma Herwegh heute vor 200 Jahren geboren wurde, Tochter eines Berliner Kaufmanns und Hoflieferanten, war ihr Leben eigentlich geregelt. Sie, begütert und begabt, musste nicht wie so viele andere mit kinderreichen Familien auf engstem Raum leben und jede gesundheitszersetzende Arbeitsstelle in Fabriken annehmen, um zumindest der größten Not zu entkommen.
Emma Herwegh würde Klavier spielen, einen Gatten aus der gleichen Schicht oder womöglich gar dem Adel finden, Kinder bekommen, dann mit hinreichend Personal den Haushalt führen und nicht nur anlässlich von Bällen hübsche Kleider tragen. Die Männer indessen: zuständig für Geschäft, Politik, Gesellschaft.
Wie eine gebildete Frau an diesen Aussichten zugrunde gehen konnte, das ist aus dem Schicksal von Goethes Schwester Cornelia zu lesen. Vielleicht wäre aus einer wie ihr, geknechtet vom Frauenbild des Gatten und der Zeit, später eine Feministin geworden … Emma Herwegh jedenfalls wurde zu einer solchen. Gerade gegen ihre Zeit. Die Ideale der Französischen Revolution in ihrer Wiederkehr in den 1840er Jahren, die Forderungen nach Demokratie, die Träume von einer Republik – all das verstand sie als den Kampf um die freie Entfaltung des Menschen. Und nahm ihn zuallererst für sich selbst an: als Frau. Sie las die Schriften von Karl Marx, aber auch von politischen Dichtern wie Heinrich Heine, Ferdinand Freiligrath und Georg Weerth. Und als mit Georg Herwegh ein weiterer deutscher politischer Dichter im Hause ihres Vaters landete, konnte sie dessen „O Freiheit, Freiheit! Nicht wo Hymnen schallen…“inniglich auswendig. Es endet mit: „Wärst du die Freiheit, wenn wir vor dir knieten?“
Emma verließ die heimische Sicherheit, heiratete Herwegh, zog mit ihm nach Paris, traf Marx und Bakunin, kämpfte mit den Männern von 1848 um die Fortsetzung der französischen Aufstände für Demokratie und eine Republik in deutschen Landen. All das ist nun schön im Roman „Die Freiheit der Emma Herwegh“nachzulesen, geschrieben vom Spiegel-Journalisten Dirk Kurbjuweit. Er lässt sie im Alter, verarmt und nahezu vereinsamt, von ihrem Leben erzählen – und es wirkt wie die weibliche Entgegnung zu Gustav Flauberts Klassiker „Die Erziehung des Herzens“, in dem es allerdings um einen jungen Mann geht, der zwischen Liebe und Politik, Freiheit und Karriere taumelt.
Während bei Flaubert Frédéric rührt, überwältigt bei Kurbjuweit Emma. Unmittelbar rührt sie ihren Mann und dessen Mitstreiter, weil auch die linken Revolutionäre den Aufstand als Männersache ansehen; und dann rührt sie den Leser, weil ihr Ringen nicht nur mutiger und weniger eitel ist als das der Herren, sondern weil sie uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Darüber, dass der Weg in eine offene Gesellschaft vor allem von denen beschritten werden muss, die dazu eigene Privilegien aufgeben – damit es dem Menschen an sich besser geht. Aber auch darüber, dass der persönliche Weg zur Erfüllung keine Entscheidung zwischen Freiheit und Liebe verlangt – sondern dass es um die Erfüllung des jeweils einen im anderen geht. Für Mann und Frau. Und das heißt bei Herwegh weder, dass sie an die damaligen Versuche einer „Phalanx“glaubt – kommunenhaft offene Beziehungen –, noch, dass sie auf Familie, auf Kinder verzichtet.
Emma liebt Georg. Selbst als dieser sich anderweitig verliebt, hält sie an der Ehe fest, nicht aus Abhängigkeit, sondern aus Freiheit. Das wird zwar zu ihrem Unglück, weil ihr Gatte wie keiner der sie umgebenden Männer und Frauen ihre Reife besitzt, politisch wie persönlich. In Kurbjuweits Roman wird der letztlich eher jämmerliche RevolutionsRomantiker Georg geradezu zu einem lehrreichen Prototyp des Versagens: Idealistisch ist vor allem sein Selbstbild, sein tatsächliches Handeln aber bleibt ängstlich und eitel. Er redet von besserer Gesellschaft und freierer Liebe nur, um sich selbst besser zu fühlen und selbst freier zu sein – und landet so unweigerlich im Betrug, an sich, der Liebe und der Welt. Ein Mahnmal für vermeintliche Idealisten, auch heute.
Ebenso wird Emma zum Vorbild. Nicht überhöht, sondern greifbar. Weil ihr Leben tragisch zeigt, dass ein richtiges Leben im Falschen nicht gelingen kann – wenn man die offene Gesellschaft ernst nimmt. Und dass es gerade heute keine Floskel ist zu sagen: Richtig verstanden müssen wir alle Feministen sein. Emma jedenfalls wäre heute gegen Trump, sie würde Laurie Pennie nicht zustimmen und Essays nicht im schreiben, sondern im
Eine Erziehung des Herzens auch für uns heute
Dirk Kurbjuweit: Die Freiheit der Emma Herwegh. Hanser, 336 S., 23 ¤