Keine Totenruhe auf Kosten von Kindern
Im Friedberger Stadtgebiet sind auf den Friedhöfen nur noch Grabsteine aus zertifizierter Herkunft erlaubt. Doch offenbar sind es nicht nur finanzielle Gründe, warum Angehörige zu Billigangeboten greifen
Friedberg Zehntausende indische Kinder arbeiten in Steinbrüchen und Werkstätten – bei Temperaturen um 40 Grad, ohne Schutz für Augen, Ohren und Lunge fertigen sie billige Grabsteine für den Weltmarkt. Die Lebenserwartung der Mädchen und Jungen liegt nur bei 30 bis 40 Jahren. Immer mehr Kommunen wollen diese ausbeuterische Kinderarbeit verhindern, indem sie die Verwendung dieser Grabsteine auf ihren Friedhöfen verbieten. Auch die Stadt Friedberg ändert ihre Friedhofssatzung entsprechend. „Wir retten damit die Welt nicht, aber ein Stück weit leisten wir einen Beitrag“, sagte Bürgermeister Roland Eichmann (SPD).
Möglich ist dies, nachdem der Freistaat Bayern im vergangenen Jahr die rechtlichen Voraussetzun- geschaffen hat. Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht ein Verbot der Stadt Nürnberg gekippt, weil dadurch in die Berufsfreiheit der Steinmetze und Natursteinhändler eingegriffen werde. Dies bedürfe aber einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Das zum 1. September 2016 in Kraft getretene Gesetz können die Kommunen nun einen Nachweis verlangen, dass die Herstellung „ohne schlimmste Formen von Kinderarbeit“erfolgt ist. Das geschieht durch eine lückenlose Dokumentation, wonach Grabsteine und -einfassungen ausschließlich aus der EU und der Schweiz stammen. Andernfalls ist eine schriftliche Zertifizierung durch eine unabhängige Organisation nötig, welche die Herstellung regelmäßig und unangemeldet vor Ort kontrolliert und die selbst nicht an der Herstellung oder dem Handel von Naturstein beteiligt ist. Solche Zertifizierungsstellen gibt es inzwischen mehrere. Auf ihre Dienste verlassen sich auch die Mitgliedsbetriebe der Steinmetz-Innung Nordschwaben, deren Vorstand Mario Michl aus Friedberg angehört. „Der Vorstand hat sich hier klar positioniert. Wir sind absolut gegen Kinderarbeit“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Über ihre Einkaufsgenossenschaft beziehen die Steinmetze nur Grabdenkmäler aus zertifizierter Herstellung. Mario Michl hat nach eigenen Aussagen in seinem Betrieb keinerlei Direktimporte.
Bereits 2013 hat der Bundesverband der Steinmetze in Abstimmung mit dem Deutschen Städtetag dazu eine Richtlinie erarbeitet. Darüber hinaus wollen die Steinmetze die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern, die mit der Progen duktion beschäftigt sind. Für jeden verwendeten Stein gehe ein bestimmter Betrag an die Herkunftsländer, um dort die Familien zu unterstützen, Kindergärten, Schulen und Infrastruktur auszubauen, berichtet Mario Michl.
Doch auch wenn sich die Innungsbetriebe an die Vereinbarung halten – ganz auszuschließen ist offenbar nicht, dass Billiganbieter Steine aus Kinderarbeit beziehen. Das fürchtet Stadtrat Jakob Eichele (Freie Wähler), der als Gärtner am Friedhof zu tun hat. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, wenn ich sehe, was alles aus dem Ausland hereinkommt“, sagte er im Werkausschuss. Auch Bürgermeister Eichmann räumte ein, dass die Wahl des Grabsteins häufig eine Preisfrage sei. „Wir glauben trotzdem, dass es richtig ist“, sagte er zu der Satzungsänderung.
Dass nicht unbedingt nur finanzielle Aspekte den Ausschlag geben, weiß dagegen Mario Michl. Alle Kommunen bieten nach seinen Worten inzwischen günstige Bestattungsmöglichkeiten an. Das geht los mit 300 Euro für die Beschriftung der Platte an einer Urnenwand, wie es sie zum Beispiel am Friedhof Herrgottsruh gibt. „Es geht aber nicht nur ums Geld. Unsere Bestattungskultur wandelt sich extrem“, bedauert Michl.
Der familiäre Zusammenhalt gehe durch die steigende Mobilität verloren, das Grab spiele für die Angehörigen nicht mehr die zentrale Rolle bei der Trauer. Auf den ländlichen Friedhöfen sei das Grabdenkmal oft noch ein Statussymbol. Doch schon in Friedberg löse sich das inzwischen auf. „Aber es ist schade, wenn man im Tod vergessen wird“, findet er. »Kommentar