Der Mann, der die Oper zum Triumph führte
Jubiläum In einem der folgenreichsten Augenblicke der Musikgeschichte gab er die Richtung vor: Claudio Monteverdi. Was der Komponist aus Oberitalien mit seinem „Orfeo“anstieß, davon profitiert bis heute eine ganze Musikgattung
Mehr als vier Jahrhunderte gibt es sie nun, und in dieser Spanne hat sie einiges erlebt, Reformen und Skandale, glühendste Liebesbekundung wie heftigste Ablehnung, Todeserklärungen und leidenschaftliche Beschwörungen ihrer Lebendigkeit: die Oper. Dass sie existiert als Kunstform, die Menschen zu ergreifen vermag wie kaum eine andere, das ist wesentlich einem Mann zu verdanken, der vor 450 Jahren geboren wurde und am 15. Mai 1567 – nur dieses Datum ist belegt – seine Taufe erhielt: Claudio Monteverdi.
Aus Cremona in der Po-Ebene stammend, musikalisch gründlich gebildet – erste Werke veröffentlichte er im Druck im Alter von 15 Jahren –, versiert im Komponieren sowohl geistlicher wie auch weltlicher Werke, war Monteverdi bereits ein hochmögender Musiker, als er in Diensten des Herzogs von Mantua 1607 sein wohl bedeutendstes Werk schuf: „L’Orfeo“, jene „favola in musica“, die den entscheidenden Impuls gab zur Entwicklung jenes neuartigen Genres, das Musik, Poesie und Szene verband.
„L’Orfeo“ist nicht die erste Oper der Musikgeschichte. Dieses Verdienst kommt Jacopo Peri zu, dessen „Euridice“(seine Musik zu „Dafne“ist verschollen) wenige Jahre vor dem „Orfeo“, 1600, in Florenz uraufgeführt wurde. Die Libretti beider Opern handeln von ein und demselben Stoff. Es ist die Sage vom Sänger Orpheus, der sich unsterblich in Euridike verliebt, doch schon bald erfahren muss, dass seine Angebetete von einer Schlange tödlich gebissen wurde. Orpheus beschließt, in die Unterwelt zu steigen und Euridike zurückzufordern, was ihm erst gelingt, als er die Götter mit seinem Gesang betört. Er erhält Euridike – unter der Bedingung, sich nicht nach ihr umzuwenden, bis beide wieder bei den Lebenden angelangt sind. Ein Gebot, das Orpheus bricht: Voller Sorge blickt er nach der hinter ihm schreitenden Euridike – und verliert sie für immer.
Musik auf dem Theater hatte es schon lange vor Peri und Monteverdi gegeben. Nur dass dramatischer Dialog und musikalische Darbietung nie zur Einheit zusammengefunden hatten, sondern stets getrennt dargeboten wurden. In Florenz hatten humanistische Kreise Ende des 16. Jahrhunderts Theorien entwickelt, wonach auf den Theatern des antiken Griechenlands beides, Sprache und Musik, verschmolzen gewesen sei. Davon aus-
erfanden Peri und andere die Methode des recitar cantando, des „singenden Erzählens“. Ein Quantensprung – der jedoch in der schematischen Weise, wie er durch seine Erfinder zur Anwendung kam, nicht viel Zukunft versprach.
In dieser Situation trat Monteverdi mit seinem „Orfeo“auf den Plan. realisierte hier auf Grundlage eines Opernlibrettos, was er zuvor schon an Madrigalen versucht hatte und was er selbst die seconda pratica, die „zweite Praxis“, nannte: Dass nämlich die Musikgestaltung vom Textinhalt auszugehen habe (in der zuvor tonangebenden prima pratica war es genau umgekehrt). Dieses äsgehend
thetische Credo erlaubt es Monteverdi, die Gemütslagen der auf der Bühne dargestellten Figuren, ihre Freuden, ihre Schmerzen, musikalisch zum Ausdruck zu bringen – Kern aller Opernmusik seither und Erfolgsgeheimnis dieser Kunstgattung überhaupt.
Wenn also in einem der SchlüsselUnd momente des „Orfeo“der Protagonist sich anschickt, mit der geliebten Frau die Unterwelt wieder zu verlassen und sich dabei umwendet, dann setzt Monteverdi an dieser Stelle ein musikalisches Ausrufezeichen: Die Begleitung wechselt von Streich- und Zupfinstrumenten zur Orgel – eine Klangwirkung, die den „Moment höchsten Glücks und gleichzeitig tiefsten Unglücks“sinnfällig zum Ausdruck bringt, wie die Monteverdi-Biografin Silke Leopold schreibt. Berühmt auch jene Stelle unmittelbar vor der fatalen Hinwendung, als Orfeo im Glücksgefühl seines Erfolgs ein Lied anstimmt – und dazu der instrumentale Bass eine kontinuierliche Schreitbewegung vollführt, tönendes Zeichen, dass Orfeo nun aus der Unterwelt zurück ins Reich der Lebenden geht. Was hier erklingt, ist nichts anderes als ein walking bass, der drei Jahrhunderte später zur Standardfigur des Jazz werden wird.
Merkwürdig, dass „L’Orfeo“für lange Zeit in Vergessenheit geriet. Ein Schicksal, das sie mit seinem Schöpfer nach dessen Tod im Jahre 1643 teilte. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts rückte Monteverdi wieder ins Bewusstsein. Die Stunde der Monteverdi-Renaissance schlug jedoch erst in der zweiten Jahrhunderthälfte, als die Alte-Musik-Bewegung sich daranmachte, den Werken ihren originalen Klang zurückzugeben – und Regisseur JeanPierre Ponelle und Dirigent Nikolaus Harnoncourt mit ihren Zürcher Produktionen einem staunenden Publikum vorführten, dass Monteverdi auch auf der Bühne zeitlos ist.
„L’Orfeo“war nicht die einzige Oper des Komponisten, der auch mit seinen neun Madrigalbüchern, seiner Geistliche-Musik-Sammlung „Selva morale e spirituale“und seiner Marienvesper Musikgeschichte schrieb. Vieles aber ist verschollen, nur zwei weitere Opern haben sich erhalten: die Odysseus-Geschichte „Il ritorno d’Ulisse in patria“und „L’incoronazione di Poppea“über den römischen Kaiser Nero. Monteverdi, seit 1613 Kapellmeister an San Marco in Venedig, schrieb beide Opern gegen Ende seines Lebens, als in der Lagunenstadt das erste Opernhaus eröffnet worden war. Besonders der „Krönung der Poppea“(1643) ist anzumerken, dass sich die Oper bereits zu wandeln begonnen hatte. Die Musik war nun nicht mehr nur Dienerin für den Ausdruck des Textsinns, sie besaß aufgrund ihrer Schönheit zunehmend eigene Rechte – das finale Liebesduett aus der „Poppea“strahlt bereits in einem vokalen Glanz, der vorausweist auf die Stimmkünste kommender Epochen. Auch dafür danken Claudio Monteverdi die Opernfreunde in aller Welt.
Lange Zeit blieben Sprache und Musik getrennt