Wenn ein Kind stirbt
Facebook darf trauernden Eltern den letzten Chat vorenthalten
Berlin/Augsburg Es ist die Frage nach dem Warum, die trauernde Eltern oft ein Leben lang quält. Vor fünf Jahren stürzte die Tochter von Simone W. an einem Berliner U-Bahnhof vor einen einfahrenden Zug. War es ein tragischer Unfall? Oder ein Suizid, weil das Mädchen möglicherweise in den Tod gemobbt wurde? Eine Antwort auf diese Frage werden die Eltern des Mädchens vielleicht nie bekommen.
Der Versuch der Mutter, den Facebook-Konzern zur Herausgabe der Chat-Nachrichten der 15-Jährigen zu zwingen, ist gestern vor dem Berliner Kammergericht jäh gescheitert. Ausgerechnet eine Internet-Plattform, die sonst im Umgang mit persönlichen Daten als wenig zimperlich gilt, berief sich in diesem Verfahren auf den Datenschutz.
Es ist ein Fall, wie es ihn in Deutschland noch nicht gegeben hat. Wenn ein Kind stirbt, gehen Briefe und Tagebücher ganz selbstverständlich in den Besitz der Eltern über. Für den digitalen Nachlass dagegen gelten offenbar andere Regeln. Von der Herausgabe der Nachrichten, argumentiert Facebook, wären auch andere Nutzer betroffen, nämlich die Chat-Partner der Toten. Ohne deren Einverständnis aber bleiben die digitalen Gespräche für Dritte tabu. Nach dem Urteil aus Berlin steht das Fernmeldegeheimnis, das einen Chat schützt wie ein privates Telefonat, dem Anspruch der Erben auf Herausgabe entgegen. Mit wem sich ihr Kind vor seinem Tod noch unterhielt, ob es womöglich schikaniert wurde, gedemütigt oder lächerlich gemacht, wissen Simone W. und ihr Mann bis heute nicht. Ihre letzte Möglichkeit, doch noch Gewissheit zu bekommen, ist die Revision beim Bundesgerichtshof. Ausgang ungewiss.