Ach, Boris!
Boris Becker hat angeblich finanzielle Sorgen. Prompt erntet er Hohn und Spott – mal wieder. Warum tun wir Deutschen uns eigentlich so schwer mit dem Ex-Tennisstar? Hat er uns nicht unvergessliche Fernsehmomente beschert? Die Briten sehen ihn ganz anders
Augsburg Es war am Dienstag letzte Woche, als Boris Becker einer gewohnten Beschäftigung nachging. Er stand auf einem roten Teppich, lächelte als VIP-Gast in die Kamera und genoss seinen Promi-Status bei der Spielerparty der Gerry Weber Open im ostwestfälischen Halle. Am nächsten Mittag, Becker war schon frühzeitig weitergereist in Richtung Köln, war dann nichts mehr wie gewohnt. Wie eine Alarmsirene schrillten Meldungen aus London in Beckers Heimat herüber. „Becker bankrott“oder „Becker pleite“lautete das Verdikt, medial transportiert direkt aus einem Gerichtssaal der britischen Hauptstadt, gesprochen von der Justizbeamtin Christine Derrett. In Halle, wo Becker anderntags noch zu einem Kurzabstecher aufgeschlagen hatte, war man wohl noch ein bisschen verblüffter als anderswo in der Republik: „Boris war gut aufgelegt hier, gut gelaunt. Finanzielle Sorgen hat er sich absolut nicht anmerken lassen“, sagte Turnierdirektor Ralf Weber.
Machte Becker, wie so oft, nur gute Miene zum bösen Spiel, das hinter den Kulissen lief? Trat da etwa der Becker auf, über den die Tennisliebhaberin Derrett bei der Anhörung in London „mit Bedauern“ gesagt hatte, der Champion sei wohl ein Mann, „der den Kopf in den Sand steckt“– und zwar dann, wenn es gelte, die Realitäten seiner finanziellen Lage wahrzunehmen? Oder war vielleicht doch alles ganz anders, so wie Becker es gestern in einem Interview der
darstellt? Er sei „weder zahlungsunfähig noch pleite“, es handele sich um eine einzelne Forderung eines einzelnen Gläubigers, über die er sagt: „Sie können mir aber glauben, dass mein Vermögen ausreicht, um Forderungen in dieser Größenordnung zu erfüllen.“
Er keilt auch zurück, in Richtung der Bank, in Richtung der Richterin, in Richtung seines Heimatlandes. Er fühle sich, das ist der Tenor, miss- und unverstanden, an den Pranger gezerrt. Eine Melodie, die man kennt, wenn man ihn kennt. Früher oder später hört man das immer von ihm, auch abseits dieser Affäre. Becker und Deutschland, das ist ein schwieriges Kapitel. Becker glaubt, dass die Deutschen in ihm immer noch den „17-jährigen Leimener“sehen, auch jetzt noch, über 30 Jahre später: „Sie haben im Grunde noch nicht begriffen, dass ich erwachsen bin.“
Wie auch immer: Seit diesem Schlagzeilengewitter, seit seiner angeblichen Schieflage bei der Privatbank Arbuthnot Latham, ist in sei- nem Achterbahnleben wieder ein neues Kapitel aufgeschlagen. Soeben noch der gefeierte Trainer des ehemaligen Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic und dann der fast noch mehr gefeierte Experte am Mikrofon des Senders ist der mutmaßlich klamme Becker nun wieder das Lieblingsobjekt der Begierde – für alle mögliche und unmögliche Häme, für Spott und die urdeutsche Schadenfreude.
Selbst falsch geparkte BeckerAutos und aufgewärmte Klagen von Ehefrau Lilly („Boris ist gemein zu mir“) landen plötzlich wieder auf der Titelseite, dazu ein Hilfsangebot von Ex-Schützling Djokovic. Becker kennt das zur Genüge, er hat es in einem Interview einmal so thematisiert: „Ich habe vieles probiert, vieles hat auch geklappt, anderes nicht. Wem geht das nicht so?“, sagte er, „nur wird das bei Becker gleich zum Drama gemacht, zum Scheitern überhaupt. Wie gesagt: Es gibt nur Triumph oder Tragödie.“Er fügte dann noch dies hinzu: „Ich bereue nichts. Denn was wäre die Alternative gewesen: Ab 32 Jahren und dem Karriereende nur noch die Legende sein? Ich bin nicht zum Grüßaugust geboren.“
Becker, so könnte man sagen, ist geschäftlich vielseitig interessiert. Fernsehverträge, eine Tennisakademie in China, Werbepartner von Pokerstars. Und sonst? Es ist jedenfalls der unglücklichste Zeitpunkt, um auch noch die haarsträubendsten Gerüchte schonungslos ausgebreitet zu sehen. Denn am Montag beginnt in Wimbledon im Südwesten Londons, an der berühmten Adresse Church Road SW 19, das größte Tennisturnier der Welt, jene Spielwiese, auf der sich Becker 1985 als jüngster Champion aller Zeiten unsterblich machte. Becker ist dort, bei einem der mythischsten Sportwettbewerbe überhaupt, eine Legende, ein Liebling des Publikums. Dreimal hat er dort gewonnen, neben 1985 auch noch 1986 und 1989, er ist deshalb Mitglied des ehrenwerten „All England Lawn Tennis and Croquet Club“auf Lebenszeit.
„Ich bin stolz, ein Teil Wimbledons und seiner großen Geschichte zu sein“, hat Becker oft genug betont. Man hat ihm diesen Stolz auf Schritt und Tritt angemerkt, wenn er die Turnieranlage betrat, wenn er sich unter dem Applaus und dem Geraune der Fans umherbewegte. Becker ist, ganz nebenbei, auch ein Nachbar des „Clubs“. Seine Villa liegt nur ein paar hundert Meter vom Centre Court entfernt, er ist in fünf Minuten mit dem Auto an den Eingangstoren. „Dankbar“sei er, ein Haus direkt neben diesem Ort, der ihm so viel bedeute, gefunden zu haben, sagte er: „Ich fühle mich sehr wohl, die Menschen hier lassen mich einfach gut leben.“
Jahrelang blieb in Wimbledon ein frappierender Befund: Während Becker daheim in Deutschland als strauchelnder Held galt, nicht zuletzt nach merkwürdigen Fernsehauftritten wie bei Scherzbold Oliver Pocher, blieb er für die Briten eine durch und durch seriöse Erscheinung – was vor allem mit seinen Auftritten als zu tun hatte. Auftritte, bei denen er mit Anzug und Krawatte klug die Wimbledon-Partien analysierte, charmant die Persönlichkeiten der Stars aufblätterte und über vergangene Zeiten mit alten Sportsfreunden wie John McEnroe oder Jimmy Connors plauderte. Die Deutschen kannten diesen britischen Becker nicht, und die Briten kannten den deutschen Becker nicht.
Nun allerdings fragt man sich, wie der Mann es wegsteckt, wenn ihn die meisten Fans und die ganze Tennis-Karawane in Wimbledon anstarren werden, mit eher konsterniertem Blick. Und vor allem dem Rätsel: Warum hat Becker die Dinge nicht geregelt vor diesem Toptermin, vor dem Turnier, bei dem er noch eine ganz große Rolle spielt, wenn auch nicht mehr auf dem Centre Court? Warum ließ er alles treiben, erst recht dann, wenn er keine finanziellen Probleme hat. Er hätte auch wissen können, dass Gläubiger ihn gerade mit Blick auf den Wimbledon-Termin unter Druck setzen würden. In der Hoffnung, dass Becker einen Deal mit ihnen schließt. Nun ist das unangenehme Thema auf dem Markt, und er muss mühsam versuchen, den finanziellen Zwist zu beenden und die Deutungshoheit zurückzugewinnen. Er 1992 muss das Rebreak schaffen und dann auch noch den Matchball verwandeln. Er werde den „letzten Ball spielen“, sagt Becker passend dazu in dem Interview. Pathos ist ihm bekanntermaßen nicht fremd.
Ein wenig erinnert das Drama an die jahrelangen Auseinandersetzungen, die sich Becker mit den deutschen Finanzbehörden um millionenschwere Steuerforderungen lieferte. Rund 15 Jahre ist das alles schon her, aber doch ziemlich aktuell. Denn seinerzeit hatte Becker auch nicht geglaubt, dass es zum Äußersten käme, einem Prozess gar gegen ihn, gegen die sportliche Lichtgestalt des Landes. Und doch sah er sich dann vor Gericht gestellt, die Bundesrepublik gegen Boris Franz Becker hieß das Match, es war eine demütigende Szene. Becker kam mit einer Bewährungsstrafe davon, er hatte das auch der geräuschlosen Assistenz und den Dealmacher-Qualitäten von Vertrauten wie Hans-Dieter Cleven zu verdanken, dem ehemaligen Generaldirektor der Schweizer Metro-Holding und Vermögensverwalter der milliardenschweren Beisheim-Gruppe.
Und wer hilft jetzt? Angeblich arbeiten an dem Fall mehrere Anwälte für Becker. Aber sie alle verhinderten nicht, dass der Fall zum öffentlichen Gegenstand wurde, auch zur Gelegenheit für viele, sich wieder mal an Becker und seinen scheinbaren Schwierigkeiten abzuarbeiten.
Wäre das auch einem wie Ion Tiriac passiert? Der gerissene Rumäne war der erste und beste aller seiner engen Weggefährten. Becker lernte fast alles von ihm. Tiriac hielt Becker auch den Rücken frei, er machte die Verträge, er machte ihn zum vielfachen Millionär. Und er hielt ihn zur Disziplin an, auf und neben dem Court. Von Tiriac stammt der Satz, den Becker lange Zeit nicht vergaß. Bevor er ihn dann nicht mehr beherzigte. Dieser Satz Tiriacs lautete: „Die Presse kann dich an einem einzigen Tag zerstören.“Und zwar auch, vielleicht sogar gerade einen wie Becker, diesen Liebling der Götter in jungen Jahren.
Später, in den 90er Jahren, folgte der Münchner Medien-Impresario Axel Meyer-Wölden in der Rolle des Geschäftsbesorgers nach. Er holte Becker aus der ersten Lebensund Schaffenskrise heraus, er füllte auch seine Konten wieder ordentlich auf. Meyer-Wölden arbeitete mit den Großen der Sport-, Musik und Showbranche, zu seinen Klienten gehörten auch Placido Domingo oder Michael Jackson. Becker imponierte das. Er vertraute dem Partner
Es ist ein neues Kapitel in seinem Achterbahnleben Er sagte mal: Bei mir weiß man nie, was kommt
bedingungslos. Als Meyer-Wölden 1997 starb, gerade mal 56-jährig, riss dieser Verlust eine große Lücke in Beckers Leben. Eigentlich bis heute. Partner wie Tiriac und Meyer-Wölden hatte Becker danach nie mehr. Nicht jedenfalls Leute aus dieser Liga, die bestens wissen, wie die Branche tickt.
Becker hat sich später immer wieder gegen das Spekulationstheater um ihn gewehrt, auch gegen die zuletzt gängige These, er sei wieder bei sich angekommen – im Tennis, wo er sich am besten auskenne. Er sagte dazu: „Die wenigsten wissen doch, was in meinem Leben passiert, heute wie vor 30 Jahren. Deshalb gibt es auch immer wieder die unmöglichsten Theorien zu Boris Becker – was er warum tut.“Im übrigen wäre sein Leben ärmer gewesen, „wenn ich nicht andere Herausforderungen angenommen hätte.“
Ob er das auch jetzt noch so sieht? Vermutlich schon, er kann bei diesem Thema, bei der Bewertung seines Lebens abseits des Centre Courts, ziemlich trotzig sein. Er neigt auch dazu, den Geschäftsmann Becker zu verklären. Eins aber gilt nun und sowieso immer und überall bei Becker – jene Faszination, die ihn einst als Tennisprofi umgab und die er selbst so beschrieb: „Bei mir weiß man nie, was kommt.“Auch jetzt nicht, im 50. Lebensjahr.