„Jungs hatten’s halt immer besser“
Woisch no Eine AZ-Leserin erinnert sich an ihre Kindheit. Die war schön – mit kleinen Ausnahmen
Ich wurde 1950 als waschechte „Augschburgerin“geboren und hatte das Glück, in der Nähe des Wittelsbacher Parks groß zu werden. Aber halt: So großen Auslauf bekam ich natürlich erst, als ich schulpflichtig wurde! Vorher hieß es strikt folgen und mein Bewegungsradius als Fünfjährige reichte vom düsteren Hinterhof bis zum „Gärtlein“. So hatte ich ein eingegrenztes Stück Wiese getauft, das hinter einem Mäuerlein verborgen hinter der Lenzhalde lag. Diese Wirtschaft zu betreten, war mir strengstens verboten – wie fast alles andere auch! Aber egal, das Gärtlein genügte mir. Eine riesige Trauerweide spendete mir Schatten und bei schönem Wetter konnte ich hier stundenlang im weichen Gras liegen und am Himmel die vorbeiziehenden Wolken bestaunen: Riese? Hase? Gar ein Auto?
So weit vom Schuss gab es keinerlei Verbote und Auflagen. Wichtig war bloß, Punkt Sechs Uhr zuhause anzutreten, sonst hätte es eine tüchtige Abreibung gegeben. Heute frage ich mich, wie ich es damals ohne Uhr immer schaffte. Wahrscheinlich hatte ich früh gelernt, den Heimpfiff meiner Mutti auf große Entfernung nicht bloß zu hören, sondern auch blitzschnell zu befol- gen. Schlechter sah es schon bei Regenwetter aus. Da hieß es zuhause bleiben und ruhig sein, denn mein Vater arbeitete nachts bei der Eisenbahn und musste tagsüber ungestört schlafen. Da meine beiden Geschwister schon groß waren, beschäftigte ich mich so leise wie möglich mit meiner Puppe. Dies sei eine echte Kruse-Puppe, wurde mir eingetrichtert, und deshalb pfleglich zu behandeln. Sie war aus Zelluloid und ich fand sie hässlich mit ihrem dummen Gesicht und dem steifen Porzellanhaar. Aber was soll’s, ich nannte sie Margret (nach einer sagenumwobenen älteren Tante, die dem Hörensagen nach in Köln lebte, wo immer das sein mochte!). Insgeheim beneidete ich meinen fünf Jahre älteren Bruder, der einen echten Teddy sein eigen nannte, natürlich über die Jahre hin schäbig und angefressen, aber in meinen Augen unerreichbar schön. „Das ist nur für Jungs“, hieß es, als ich den Wunsch äußerte, zu Weihnachten einen Bären geschenkt zu bekommen. Heute weiß ich, es wäre zu teuer gewesen. Denn zum Christkind musste eine Orange und eine Schüssel selbst gebackene Plätzchen genügen. Dafür gab es als Sonderüberraschung noch einen selbst gestrickten Pullover.
So kapierte ich früh: Als Junge ist man im Leben besser dran. Außer dem Teddy besaß mein Bruder im Winter eine weiche, bequeme Trainingshose und sommers einen Holzroller. Wie oft habe ich seine rechte, dick aufgeschwollene Wade be- staunt, die er mir als Beweis, wie weit weg er dieses Mal wieder gefahren sei, unter die Nase hielt. Als ich endlich, vier Jahre später, diesen Wunderroller vererbt bekam, besaß mein damaliger Spielkamerad Manfred bereits einen Luftroller, mit dem er über den Asphalt schwebte. Leider hat er ihn mir trotz täglichen Betteleien und Bestechungsversuchen niemals ausgeliehen, weil er angeblich „nicht durfte“.
Die Autorin Rita Kasparek ist AZ Le serin und lebt in Altenmünster. Ange regt durch unsere montägliche Serie „Woisch no“hat sie uns diese Erinne rungen an ihre Kindheit geschickt.
Die Leser sind gefragt
Jeden Montag erzählt der Augsburger Silvano Tuiach von den 50ern, 60ern und 70ern in Augsburg und der Region. Er will die Erinnerung an diese Zeiten wach werden lassen. Unsere Leser können ihm dabei helfen: Schicken Sie uns Bilder aus dieser Zeit und schreiben Sie uns dazu, in welchem Zusammenhang die Fotos aufgenommen wurden und wer darauf zu sehen ist. Für nächsten Montag interessiert uns besonders das Thema „Haushalt“. Schicken Sie die Bilder per Mail an: lokales@augsburger allgemeine.de, Stichwort „Woisch no“. Schreiben Sie bitten Ihren Namen und Ihre Te lefonnummer dazu.