Wie kleine Geschäfte noch zu retten sind
Andreas Gerblinger steigt in die Buchhandlung der Eltern ein statt in einen Großkonzern. Das Familienunternehmen versucht, den Slogan „Erlebnis-Shopping“mit Leben zu füllen
Friedberg Der Friedberger kauft gern Grußkarten. Das ist eine der Besonderheiten, die Andreas Gerblinger nennt, wenn man ihn fragt, wie das Geschäft hier läuft. Dementsprechend breit hat die Buchhandlung in der Ludwigstraße ihr Kartensortiment aufgestellt, denn das ist das Prinzip, mit dem das Familienunternehmen dem Ladensterben die Stirn bietet: Individualität, Kundenservice, Wandel. In Zeiten, in denen alle beklagen, dass die kleinen Geschäfte um die Ecke eingehen (aber auch keiner mehr da einkauft) hat ein junger Mann seine Zukunft genau diesem Thema verschrieben. Mutig?
Gerblinger mit Stammsitz in Wertingen hat außer in Gundelfingen seit drei Jahren den Sitz in der Friedberger Ludwigstraße. Nach einer
Die Kunden vor der Überforderung retten
Ausbildung im Handwerk und einem Betriebswirtschaftsstudium stand für den Sohn, damals 30 Jahre alt, die Entscheidung an: Sollte er in den innovativen Großkonzern einsteigen, bei dem er jahrelang als Werkstudent gearbeitet hatte – oder in die Buchhandlung der Eltern? Der Spaß am Wandel, an der Gestaltung, am Umgang mit den Kunden, all das gab den Ausschlag. Seine Aufgabe ist es nun, sich um den Einkauf zu kümmern, neue Geschäftsfelder zu erschließen, im Internet auf Website, Facebook, Instagram, aber auch mit einem gedruckten Kundenmagazin Präsenz zu zeigen.
Große Ketten machen den Kleinen zu schaffen. Da kann man sich nur behaupten, wenn man den Gegentrend aufgreift, der immer spürbarer wird: Personalisierung. Die Menschen seien schlicht überfordert von der Fülle der Angebote – allein 80000 Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt im Jahr – und den Möglichkeiten des Internets, glaubt der 32-Jährige, der selber gerne Fachliteratur und Thriller liest. Da seien die Menschen froh, wenn sie im Laden mal wieder jemand mit Namen anspricht, weiß, dass sie gerne Liebesromane lesen und eine der schwierigsten Fragen des gesell- schaftlichen Lebens der Neuzeit für sie beantwortet: „Was soll ich nur schenken?“
Bei Gerblinger gibt es eine Menge, was man schenken kann. Denn vom traditionellen Friedberger Schreibwarenangebot und dem Buchhandel hat man sich keineswegs verabschiedet. Jedoch ist das Sortiment stark ausgeweitet. Es gibt Kinderspielzeug und Ledertaschen, Schmuck und Liköre, Wundertüten und Nippes. Alles, betont Gerblinger, stehe unter dem Leitmotiv „Genuss“. Alle halbe Jahre schwärmen Mitarbeiter auf Fachmessen aus, suchen Trends. „Der Wandel ist unserer Familie schon immer leichtgefallen“, meint der 32-Jährige. Dass der auf einem soliden Fundament abläuft, dafür sorgt er mit seiner Universitätsausbildung: Es gibt Kundenumfragen und Standortanalysen auf wissenschaftlicher Basis.
Der Juniorchef ist außerdem für den Sektor Kulinarik zuständig. „Wir verkaufen nichts, was uns nicht schmeckt“, beteuert er. Und auch wenn Flaschen und Etiketten im Firmen-Design den Eindruck der Einheitlichkeit vermitteln: Die Liköre, Essige, Öle, Schnäpse und Balsame stammen alle von mittelständischen Manufakturen. Kunden dürfen probieren und sie dürfen einen Kaffee trinken, während sie sich durch potenzielle Urlaubslektüre schmökern. Das sei Erlebnis-Shopping, meint Gerblinger. „Es definiert sich nicht über Ware, sondern über die Kundenbetreuung.“Für sein Geschäft sei das gefürchtete Fachmarktzentrum unterm Berg keine Konkurrenz. Gerade die Firma Segmüller stehe, da ortsansässig, der Zusammenarbeit mit der Innenstadt-Geschäftswelt offen gegenüber. Aktuell gibt das Möbelhaus ein Gutscheinheft für die Altstadt aus; Gerblinger beteiligt sich mit der Aktion „Zahl eins, nimm zwei“aus der Kulinarik-Abteilung. Das laufe gut.
Überhaupt, die Konkurrenz. Gerblinger stimmt sein Sortiment auf den Standort ab, aber auch darauf, niemandem ins Gehege zu kommen. Bevor er die Kinderbuchabteilung aufbaute, schaute er bei der Buchhandlung Lesenswert vorbei, als er Bastelbedarf ins Sortiment aufnahm, beim Handarbeitsladen Patchwork. Die gemeinsame Konkurrenz ist das Internet, also kann man bei Gerblinger online bestellen. Trotzdem glaubt er: „Angesichts der Digitalisierung werden Orte wichtiger, an denen man Menschen trifft und Impulse bekommt. Oder warum macht Amazon einen Buchladen in San Francisco auf?“