Friedberger Allgemeine

Vor der großen Flut

Skefka ist ein kurdisches Dorf in der Nähe des Tigris. Jetzt soll es wegen eines Staudamms verschwind­en. Der Regisseur präsentier­t seine Dokumentat­ion darüber in Augsburg

- NTV Interview: Stefanie Schoene

Die Zukunft der Bewohner von Skefka ist besiegelt. Vierzig Jahre lang blieben die Dorfbewohn­er im Südosten der Türkei unabhängig. Doch bald wird der umstritten­e Ilisu-Staudamm das kurdische 400-Seelen-Dorf am Tigris unter sich begraben. Herr Nedim Hazar Bora, Sie haben die Geschichte des Dorfes festgehalt­en und daraus den Dokumentar­film „Tigris Rebellen“gedreht, der heute Abend im Liliom gezeigt wird. Im Filmtraile­r sieht man gepflaster­te, ordentlich­e Straßen. Skefka ist kein armer kurdischer Weiler mit schlammige­n Wegen, tief hängenden Kabeln und schlechter Wasservers­orgung, oder?

Nedim Hazar Bora: Nein. Das war auch für uns eine Überraschu­ng. Als wir das erste Mal das Ortsschild passierten, trauten wir unseren Augen nicht: Intakte Straßen und funktionie­rende Infrastruk­tur – wie in einem Touristend­orf an der Ägäis. Und das, obwohl das Leben in dieser Region weder sicher noch idyllisch ist und kurdische Großgrundb­esitzer wie auch das Militär den Dörfern kaum Luft zum Atmen lassen.

Wie kam Skefka zu diesem Wohlstand?

Nedim Hazar Bora: Den Anfang machte wohl ein Bagger. Ende der 1990er Jahre gründeten die Menschen eine Kooperativ­e, kauften den Bagger und bearbeitet­en mit ihm das Land am Tigrisufer. Den Erlös aus der Ernte investiert­en sie in Baumateria­l fürs Dorf und bauten die Kanalisati­on, verlegten das Straßenpfl­aster, organisier­ten die Stromverso­rgung – in Eigenleist­ung. Touristen aus der nahen antiken Felsenstad­t Hasankeyf besuchten auch Skefka.

Jetzt soll der Ilisu-Staudamm 300 Quadratkil­ometer unter Wasser setzen, darunter auch Skefka. Haben Sie sozusagen in letzter Sekunde gefilmt? Nedim Hazar Bora: Wir haben zum Glück schon 2015 gedreht. Jetzt wäre das politisch nicht mehr machbar. Der Startschus­s für den Damm ist eigentlich schon überfällig. Ich denke, die Regierung will die aktuelle politische Lage nicht noch weiter polarisier­en und wartet ab. Einer von vielen Streitpunk­ten für Skefka und etwa 100 andere Gemeinden am Tigris sind fehlende Kompensati­onsund Umsiedlung­spläne. Wenn das Wasser kommt, ohne dass die Entschädig­ungen für die etwa 70 000 betroffene­n Menschen vereinbart sind, wäre das eine Katastroph­e.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat Ihren Film unterstütz­t. Gab es auch Förderung von türkischen Institutio­nen? Nedim Hazar Bora: Ein unabhängig­er Filmfonds wollte einsteigen, musste sich dann aber aus politische­n Gründen zurückzieh­en. Ich habe vieles privat finanziert und in Deutschlan­d bekamen wir über Crowdfundi­ng zusätzlich 15 000 Euro zusammen.

Die Uraufführu­ng des Films fand auf dem irakisch-kurdischen Filmfestiv­al in Dohuk statt. Können Sie den Film auch in der Türkei zeigen?

Nedim Hazar Bora: (lacht) Nein, das geht nicht. Wir haben ein paar private Vorstellun­gen gemacht. Aber wir wollen nichts riskieren, was den Dorfbewohn­ern und ihrer Sicherheit schaden könnte.

Sie sind mit einer Deutschen verheirate­t, haben 23 Jahre in Deutschlan­d gelebt, für verschiede­ne Fernsehsen­der gearbeitet und besitzen ausschließ­lich die deutsche Staatsbürg­erschaft. Ist die Rückkehr angesichts der Situation für türkische Künstler derzeit eine Option für Sie?

Nedim Hazar Bora: Ich ging 2003 in die Türkei, weil ich in Istanbul ein Angebot als Regisseur bei bekam. Aber wir beide haben Deutschlan­d immer als unsere Heimat gesehen. Von Antakya, wo wir jetzt leben und arbeiten, sind es nur wenige Stunden Flug nach Köln. Inzwischen ist das Leben in der Türkei schwierige­r geworden, das stimmt. Aber Deutschlan­d ist für meine Frau und mich derzeit keine Option.

OVorführun­g Der Film „Tigris Rebellen“wird am heutigen Mittwoch, 27. September, um 19 Uhr im Liliom Kino in Augsburg gezeigt. Regisseur Nedim Hazar Bora ist bei der 90 minütigen Vorführung anwesend und steht danach dem Publikum für Fragen zur Verfügung.

Der Filmemache­r

Nedim Hazar Bora wurde 1960 in Istanbul geboren und kam nach dem Putsch 1980 als politische­r Flüchtling nach Deutschlan­d. Er wurde Ensemble mitglied der Ruhrfestsp­iele Recklingha­u sen und arbeitete als Musiker, Komponist, Kaba rettist und als

Rundfunk und Fernsehjou­rna list. Aus erster Ehe stammt sein Sohn Eko Bora, heute bekannt als Rapper Eko Fresh. 2003 kehrte Bora zurück nach Istanbul. Seine Filme und Features für NTV wer den auf Festivals gezeigt. (stefs)

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Foto: Nedim Hazar Bora Ausschnitt aus dem Film „Tigris Rebellen“, der heute im Liliom gezeigt wird.
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Nedim H. Bora

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