Wenn die Seele auf Sparflamme schaltet
Der Verein „Kennen und Verstehen“erhält den Sozialpreis des Bezirks Schwaben. Er versucht, psychische Probleme aus der Tabuzone zu holen
Augsburg/Friedberg Für sein Engagement im Bereich der Sozialpsychiatrie verleiht der Bezirk Schwaben am heutigen Montag dem Verein „Kennen und Verstehen“bei einem Festakt in Augsburg den Sozialpreis „Miteinander“. Vorsitzender Fritz Schwarzbäcker freut sich über diese Auszeichnung, die das Anliegen des vor 20 Jahren gegründeten Vereins in der Öffentlichkeit noch bekannter machen soll. „Denn nach wie vor ist in unserer überinformierten Gesellschaft der Umgang mit psychischen Problemen recht schwierig“, weiß er. „Obwohl Krankheit kein Makel ist, schämen sich viele Betroffene.“
Sein ganzes Berufsleben lang hat der 65-Jährige mit Problemen von Suchtkranken zu tun. Heute ist er Geschäftsführer der Kompass-Dro- und hat vor wenigen Monaten die Vereinsführung übernommen, weil er der Überzeugung ist, dass die Sozialpsychiatrie nicht nur professionell ablaufen kann: „Es geht nur zusammen mit Betroffenen, Angehörigen und Ehrenamtlichen.“
Ihnen bietet der Förderverein im Landkreis Aichach-Friedberg eine Plattform, um gemeinsam die psychosoziale und sozialpsychiatrische Versorgung zu verbessern. In zweijährigem Turnus finden im Wittelsbacher Land Psychiatrietage statt mit dem Ziel, Vorurteile abzubauen sowie klassische und alternative Behandlungsformen aufzuzeigen. Bis- Themenschwerpunkte waren unter anderem Schizophrenie, Kinderund Jugendpsychiatrie, Depression, Sucht sowie Achtsamkeit und Psychiatrie. Ein Fachbeirat unterstützt die Vereinsarbeit maßgeblich.
„Es ist wichtig, auf die besondere Lebenslage psychisch kranker Menschen aufmerksam zu machen“, betont Schwarzbäcker. Denn häufig bleibe es ein Tabuthema, wenn ein Familienmitglied betroffen ist und alle Angehörigen mitleiden.
Auch viele Prominente wie Skispringer Sven Hannawald oder Fernsehkoch Tim Mälzer kennen den chronischen körperlichen und emotionalen Erschöpfungszustand. Bei permanenter Überlastung kann es auch eine Schutzfunktion sein, wenn die Seele auf Sparflamme schaltet. Wer zum Beispiel nie Nein sagen kann und sich zu viel aufhalgenhilfe sen lässt, dabei möglichst immer perfekt sein will, der sollte seine Einstellung und Lebensweise überdenken, so Schwarzbäcker.
Aber eine professionelle Behandlung ist auch deshalb langwierig, weil Therapeuten heute oft monatelange Wartelisten haben – gerade auch im ländlichen Raum. Deshalb unterstützt der Verein in Friedberg Selbsthilfegruppen für Menschen mit Angstzuständen und Depressionen: Im Brunnentreff der Sozialstation Friedberg gibt es jeden zweiten Mittwoch ein Treffen ab 18 Uhr, das nächste Mal am 8. und 22. November sowie am 6. und 20. Dezember. Eine weitere Selbsthilfegruppe für Angehörige kommt in Friedberg ebenfalls mittwochs zusammen (11. Oktober, 15. November und 13. Dezember ab 18 Uhr, Info-Telefon 0821/604945).
Auf der Internetseite www.kenherige nen-verstehen.de sind hilfreiche weiterführende Adressen aufgelistet wie die Tagesstätten der Caritas in Aichach oder des Diakonischen Werks in Mering. Vor der Mitgliederversammlung des Vereins am 18. Oktober im Friedberger Bürgertreff wird der Apotheker Dr. Jens Schneider um 19.30 Uhr einen Fachvortrag halten.
Ein wichtiges Ziel, das Schwarzbäcker und seine Mitstreiter gern realisieren wollen, ist die Einrichtung einer Tagesklinik und/oder einer Institutsambulanz; auch Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert steht hinter dieser Forderung. „Aber das ist ein mühsamer Kampf“, stellt der Vorsitzende fest. Aktuell bietet sich durch das entstehende zusätzliche Raumangebot beim Neubau des Kreiskrankenhauses Aichach eine Chance für eine Tagesklinik.