Die verlassene Siedlung mitten im Wald
Ein Teil des Augsburger Stadtteils Siebenbrunn musste dem Trinkwasserschutz weichen / Serie (55 und Schluss)
Augsburg Die Hinweise auf die Siedlung, die einst die Heimat von 230 Menschen war, sind kaum noch zu erahnen: In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Natur die Rodungsfläche im Siebentischwald wieder zurückgeholt. Bis in die 1970er-Jahre stand nordöstlich von Siebenbrunn das Siebenbrunner Unterdorf, Kolonie genannt.
Heute zeugen nur noch ein Spielplatz mit einem Fliegenpilz-Karussell im Wald, eine Kastanienallee zwischen aufgeforsteten Fichten und Fundamente eines Wasserkraftwerks im Siebenbrunner Bach davon, dass hier einst Menschen lebten. Auch eine Infotafel und ein Wegkreuz, das ehemalige Bewohner des Unterdorfs 2008 stifteten, erinnern an das Fabrikdorf.
Vor gut 150 Jahren war an dieser Stelle eine Mechanische Weberei gebaut worden. Sie nutzte die Energie des Siebenbrunner Bachs. Für die Arbeiter und deren Familien wurden mehrere Häuser gebaut. Es gab auch ein kleines Lebensmittelgeschäft und die Gaststätte „Zu den Sieben Brunnen“in der Kolonie. Die Fabrik wurde 1937 aufgegeben, die Hallen in den folgenden 40 Jahren unterschiedlich genutzt. Die Arbeiterhäuser blieben aber bewohnt.
Nach und nach zogen Bewohner weg, auch wegen der sanitären Verhältnisse in den Häusern. 1977 beschloss der Augsburger Stadtrat schließlich, die Gebäude abzureißen. Denn die Gebäude des Unterdorfs lagen in der engeren Schutzzone für die Trinkwasserbrunnen der Stadtwerke. Die letzten 40 Bewohner wurden umgesiedelt, kurz danach begann der Abbruch. Drei Jahre später war vom alten Dorf nichts mehr zu sehen, das Gelände wurde aufgeforstet.
Verweise auf das Unterdorf tauchen im 2014 erschienenen Roman „Siebenbrunn“der in Leipzig lebenden und in Haunstetten aufgewachsenen Schriftstellerin Eva Roman auf – etwa das Karussell mit dem Fliegenpilzdach. Die Protagonisten des Buchs sind Frauen, vor der Kulisse des „vom Wald verschlungenen Dorfs“geht es um Tod und Verlust, aber auch um Erinnern und Weiterleben.
Siebenbrunn hat nicht nur das Unterdorf verloren. Von den vier Guts-häusern und einem Naturheilbad sind nur noch zwei Anwesen erhalten. Die anderen Gebäude mussten dem Trinkwasserschutz weichen. Zuletzt war 2001 das Preßmar’sche Gut fällig. Erhalten geblieben sind die Apfelbäume des Gutes – nur eine intakte Natur ist Garant für sauberes Trinkwasser. Neubauten sind in Siebenbrunn nicht gestattet, Sanierungen nur unter Auflagen möglich. Siebenbrunn ist der kleinste Stadtbezirk. Als Siebenbrunn 1910 nach Augsburg eingemeindet wurde, gab es um die 450 Einwohner. Aktuell sind es knapp 100. Laut Prognose wird die Zahl bis 2030 auf gut 80 schrumpfen. O 55 rätselhafte Orte Die Serie ist ab sofort als Buch bei allen AZ Service Partnern, den Buchhandlungen Thalia, Pustet und Hugendubel und der Bahn hofsbuchhandlung Wintergerst sowie on line unter augsburger allgemeine.de/ shop zum Preis von 12,95 Euro erhältlich. Geschichte erleben
● Lage Die Überreste des Unterdorfs liegen neben einer Lichtung im Siebentischwald. Zu erreichen sind sie am besten von Siebenbrunn aus: Von der Gaststätte Jägerhaus aus führt der Weg erst Richtung Osten auf dem Ochsenbachweg. An dessen Ende biegt man links auf den Hu genottenweg Richtung Norden ein.
● Tipp Vor Ort weisen eine Tafel und ein Wegkreuz auf die ehemalige Kolonie hin. Ihre Überreste sind kaum noch zu erahnen.