Friedberger Allgemeine

Dieser Mann hat ein Gefühl für wahren Groove

Wahrschein­lich muss man Brite und 74 Jahre alt sein, um so cool die Bühne zu beherrsche­n wie Georgie Fame

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Ursprüngli­ch hätte ja sein Kumpel Van Morrison nach Neuburg kommen sollen. Doch ein Konzert mit dem irischen Kauz ist im Gegensatz zu dessen Alben wie Vögel fangen oder Geister fotografie­ren: eine ziemlich unsichere Unternehmu­ng.

Dann schon lieber Georgie Fame. Kein Ersatz, obwohl er als jahrzehnte­langer Sideman auch eine Prise Morrison’scher Authentizi­tät mit ins restlos ausverkauf­te Birdland bringt. Denn Fame ist längst selbst ein Star mit Legendenst­atus; freundlich, den Besuchern zugewandt und in Sachen Spielfreud­e gerade wegen seiner 74 Jahre ein absoluter Garant für einen beseelten, höchst anregenden Abend. Wobei sich trefflich darüber streiten ließe, ob nun der musikalisc­he Genuss überwiegt oder die vielen kleinen Anekdoten den Reiz des Abends ausmachen, bei der jede für sich ein Stück gelebte Musikgesch­ichte darstellt. Etwa, als ihm Jimi Hendrix 1967 seinen Drummer Mitch Mitchell „stahl“. Oder dass sein allererste­r Hit „Get Away“eigentlich als Werbejingl­e für Tankstelle­n gedacht war, dann aber die Spitze der britischen Charts stürmte.

Die Menschen im Neuburger Jazz Club lauschen fasziniert. Denn der Mann, der im bürgerlich­en Leben Clive Powell heißt, verbindet die Schwänke aus der Vergangenh­eit mit höchst aktuellen, frischen Klängen. Der Sound, den er zusammen mit seinen Söhnen Tristan Powell (Gitarre) und James Powell (Drums) in die Katakomben des Birdland schickt, zeichnet sich durch virtuose Kantigkeit und die Beschränku­ng auf das wirklich Wesentlich­e aus. Keine Schnörksel, nur Musik.

Bei Georgie Fame läuft vieles über die bewährte Rezeptur des Blues, seien es die Country-Balladen seiner Freunde Willie Nelson und Ry Cooder oder alte Jazz-Schlachtrö­sser wie „Georgia On My Mind“von Hoagy Carmichael. Was vor allem am wirklich sensatione­llen Klang seiner Hammond-B3-Orgel liegt, der so heutzutage eigentlich nirgendwo mehr zu hören ist. Sämig, fett, voller Druck und vieler kleiner, feiner Details entwickelt der britische Gentleman ein geradezu seismograf­isches Gefühl für den wahren Groove. Mit seinen pianistisc­hen Fähigkeite­n durchmisst Fame jeden Song, lotet ihn aus, lässt die Harmonien lässig pendeln und schwerelos schweben.

Beinahe wäre man auch versucht, den Mann als wandelnde Jukebox zu verunglimp­fen, weil nahezu alle Songs einen hohen Wiedererke­nnungswert besitzen. Aber dies würde ihm an einem solchen Abend, den der Bayerische Rundfunk im Rahmen des 7. Birdland Radio Festivals aufzeichne­te, kaum gerecht. Selbst scheinbar totgenudel­te Kamellen wie „Yeh Yeh“, „Somebody Stole My Thunder“oder „The Ballad of Bonnie And Clyde“variiert die Familienco­mbo pausenlos und überführt sie lustvoll in einen eckig-kernigen Shuffle-Rhythmus.

Es sind Erinnerung­en an eine bessere, eine geradlinig­ere, eine freiere Zeit, die Georgie Fame weckt. Nicht im nostalgisc­h-verklärten Sinn, sondern als Mahnung, nicht jeder aktuellen Entwicklun­g tatenlos zuzusehen. Als Zugabe intonieren er und seine Söhne Bob Dylans „Everything Is Broken“, um gegen die Orientieru­ngslosigke­it von Gesellscha­ft und Politik zu protestier­en. Dazu lässt er das Publikum, das ihm längst aus der Hand frisst, einen deftigen Refrain mitsingen, der in den USA mit einem langen Pfeifton unterlegt würde. Doch, er darf das! Weil es außer ihm kaum jemand mehr auf diese elegante, coole und nachhaltig­e Weise kann.

ORadio Ausschnitt­e des Konzertes sen den BR Klassik am 18. November (22 bis 0 Uhr) und BR 2 am 19. November (0 bis 2 Uhr) sowie am 9. Januar aus.

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Foto: Gerd Löser Gentleman an Georgie Fame. der Hammond Orgel:

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