Beethoven, Bach oder doch lieber Bushido?
Viele Jugendliche halten klassische Musik für alt und spießig – heißt es. Doch ist das wirklich so? K!ar.Text hat sich im Wittelsbacher Land umgehört. Und dabei Interessantes herausgefunden
Aichach Friedberg Die Idee, die ein Hotelier in Essen hatte, war schon ziemlich skurril: Auf dem Vorplatz seines Hotels hielten sich am Abend immer betrunkene Jugendliche auf. Um sie zu vertreiben, spielte er klassische Musik ab. Er hoffte, dass die Jugendlichen zu den Klängen von Mozart, Haydn und Brahms die Flucht ergreifen würden. Er hatte Erfolg. Nach ein paar Wochen waren die Störenfriede weg. Ist klassische Musik also vollkommen out, oder gibt es noch Jugendliche, die sich dafür begeistern?
Die Meringerin Johanna Henschel kann diese Frage eindeutig beantworten. Die 14-Jährige wurde Dritte beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. „Ich mag Klassik sehr“, sagt sie. „Es ist interessant, etwas zu mögen, was den anderen Jugendlichen nicht so gefällt.“Sie ist mit klassischer Musik aufgewachsen. „Zu Hause hören wir viel Klassik, ich spiele eigentlich auch schon immer Klavier“, erzählt Henschel. Ihr Gefühl ist, dass hauptsächlich die Jugendlichen Klassik hören, die auch selbst ein Instrument spielen.
Derselben Ansicht ist Ekkard Wohlgemuth. Lange Zeit leitete er das Schulorchester im Aichacher Deutschherren-Gymnasium (DHG). Aktuell ist er Dirigent der Philharmonie in Aichach. „Es ist der beste Weg zur Klassik, wenn junge Leute ein Instrument spielen“, sagt Wohlgemuth. Er sehe zwar nicht, dass Jugendliche kein Interesse mehr an klassischer Musik hätten, doch es liege gerade in der Zeit, dass Popmusik beliebter sei. „Man muss junge Leute langsam heranführen“, bekräftigt er. „Das ist unsere Aufgabe“.
Diesen Eindruck kann Karola Piel, Vorsitzende der Friedberger Musikschule, bestätigen. „Freiwillig hören nur sehr wenige Kinder Klassik. Es hängt viel davon ab, was in den Familien gehört wird.“Interessieren sich die Eltern für Klassik, sei der Zugang für die Jugendlichen viel einfacher. Außerdem meint sie: „Wer klassische Instrumente spielt, beschäftigt sich zwangsläufig mit dieser Musikrichtung.“Darunter fallen Klavier, die Gitarre oder Streichinstrumente.
Die Vorzüge der klassischen Musik gegenüber anderen Musikrichtungen sieht Piel vor allem in der Tiefe: „Man muss sich mit der Klassik mehr beschäftigen als mit Gebrauchsmusik wie Pop.“Diese vergesse man schnell wieder, weil sich die Grundmelodien und die Lautstärke der Lieder glichen. Jugendliche fasziniere an klassischer Musik vor allem die Klangfülle und die Abwechslung, so Piel. Auch die Einbindung in ein Orchester oder ein Ensemble kann Jugendlichen den Zugang zur Klassik erleichtern. Denn sie bieten ganz andere Möglichkeiten zu musizieren: „Man kann völlig andere Musik machen, als wenn man alleine spielt.“
15 Prozent der 20- bis 29-Jährigen, also mehr als jeder Sechste, hören und mögen Klassik. Das fanden Hamburger Medienstudenten vergangenen Sommer in einer bundesweit angelegten Studie im Auftrag vom Klassik-Magazin Concerti heraus. Leiter der Studie Michael Haller stellte resümierend fest, dass es ein „überraschend großes Potenzial an aktiven Hörern“im Bereich Klassik bei Jugendlichen gebe.
Dass Klassik Jugendliche begeistern kann, zeigte auch das „VivaldiExperiment“. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) rief Schüler vergangenes Jahr dazu auf, Antonio Vivaldis Werk „Die vier Jahreszeiten“zu rappen. Mit diesem Projekt wollte der TV-Sender „Hoch- mit Jugendkultur, Klassik mit Rap verbinden“. Als Zugpferd engagierte der
WDR den Rapper MoTrip. Der Wettbewerb hatte Erfolg. Mehrere Hundert Schüler nahmen teil, beschäftigten sich mit Vivaldi und sendeten Videos ihrer gerappten Versionen ein.
Gerade im Rap verbinden Künstler gerne schwere Bässe mit sanften Streichern. Der Rapper Jay-Z zum Beispiel nimmt oft Songs mit Streichorchestern auf. Auch Kendrick Lamar ließ sich bei seinem preisgekrönten Album „To Pimp a Butterfly“von anderen Musikrichtungen wie dem Soul und Jazz inspirieren.
Eine große Rolle spielt die Klassik auch im Kino, wie Beate Anton feststellt. Anton unterrichtet Gesang an der Friedberger Schule für Musik. Ihr Eindruck ist, dass viele Jugendliche durch die Filmmusik auf den Geschmack der Klassik kommen. „Die Titellieder von Harry Potter oder Fluch der Karibik schaffen vielen Jugendlichen einen Zugang“, sagt Anton.
Zudem, so die Gesangslehrerin mit einem Augenzwinkern: „Von ,Herr der Ringe‘ zu Beethoven ist der Weg dann auch nicht mehr weit.“