Als die Sänger noch mit der Kutsche reisten
Diesen Festakt im Rathaus hat sich der Philharmonische Chor verdient. Er blickt auf 175 Jahre Vereinsgeschichte zurück. Was für ein Zeitraum! Und wenn man sich vorstellt, dass zur Vereinsgründung um 1843 gerade erst die Eisenbahn-Linien entstanden, dass die Mitglieder der Augsburger Liedertafel, so hieß der Chor damals, eben auch in Kutschen reisen mussten, erkennt man, wie vielen tief greifenden Veränderungen und Umbrüchen der Chor schon getrotzt hat.
Damals gab es keine Schallplatten, kein Radio, keine vervielfältigte Musik. Wer Beethovens große Orchesterwerke hören wollte, musste auf Reisen gehen. In Augsburg wurden sie nicht gespielt, weil es damals kein Orchester gab. Die Augsburger Philharmoniker wurden erst 1865 gegründet.
Heute muss man sich nicht einmal mehr eine CD kaufen, heute streamt man so gut wie alle Musik einfach im Internet. Schon das zeigt, wie viele technische Revolutionen sich in diesen 175 Jahren ereignet haben – immer begleitet auch von gesellschaftlichen Veränderungen. Gleichzeitig hat dieser Chor dem allen getrotzt.
Die technische Entwicklung ist ja nicht an ein Ende gekommen. Als Uwe Wittstock im Brechthaus sein biografisches Buch über Karl Marx vorstellte, diskutierten Gäste zuvor über die Umbrüche im Buchmarkt und den Verlust von Millionen Lesern im letzten Jahrzehnt. Was für ein Umbruch bahnt sich da an? Endet das Buch-Zeitalter? Ein Seitenblick auf den philharmonischen Chor lehrt einen Gelassenheit. Es wird auch weiterhin Leser geben, so wie es auch weiterhin Sänger und Sängerinnen gibt, die auf dieses Glück nicht verzichten möchten.
*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefallen ist.