Wie sich Augsburg in Zukunft fortbewegt
Die Diskussion um ein Diesel-Fahrverbot ist kein Schreckgespenst, sondern ein Segen. Jetzt ist klar: So kann der Verkehr nicht weiterfließen. Doch wie sehen die Alternativen aus?
Chancen. Wenn plötzlich über kostenlosen Nahverkehr diskutiert wird, muss jede Stadt hellwach sein. Es scheint nämlich – im Angesicht des Verbots – plötzlich viel Geld denkbar zu sein für den Verkehr von morgen. Augsburg hat sich darüber schon Gedanken gemacht. Die Stadt ist einerseits mutig, anderseits aber auch verzagt. Mutig war es, mit der Mobilitätsdrehscheibe klar auf den Nahverkehr zu setzen. Verzagt wirkt es allerdings, wenn die gleichen Stadträte eine Tarifreform durchwinken, die zumindest einen Teil der (potenziellen) Fahrgäste abschreckt. Mutig war es, die Fahrradstadt auszurufen, verzagt wirkt es, wenn dann über jeden wegfallenden Parkplatz eifrig diskutiert wird. Mutig war es, auf ein Miteinander unterschiedlicher Fortbewegungsmöglichkeiten zu setzen. Verzagt wirkt es, wenn man die Schadstoffwerte mit ein paar schlauen Ampeln senken will. Es geht nämlich um mehr.
Selbst wenn Autos (vor Ort) schadstofffrei fahren sollten – etwa mit Strom – bleibt die große Frage: Wie wollen wir den Lebensraum Stadt aufteilen? Vorfahrt für das Blech? Oder Vorfahrt für die Menschen? Es bleiben drei Wege – wie in der Ernährung: Weiter so mit Schweinshaxen, eine radikale Nulldiät oder eine ausgewogene Mischung. Wie beim Essen scheiden die Optionen eins und zwei aus. Das „Weiter so“führt eines Tages in den Kollaps. Eine Nulldiät ist nicht vermittelbar. Das Auto verspricht so viel individuelle Freiheit, dass man sie nicht einfach streichen kann. Über Jahrzehnte war es ein Zeichen des Aufschwungs und des Erfolgs. Das lässt sich nicht ignorieren. Freiheit und Komfort des einzelnen Automobilisten gehen aber auf Kosten vieler anderer. Daher kann die Lösung nur in einer gesunden Mischung liegen. Augsburg hat das längst als Ziel formuliert, jetzt ist die Zeit, Zeichen zu setzen.
In der Debatte, die unter anderem im Entwurf des Stadtentwicklungskonzept geführt wird, darf es keine Tabus geben. Augsburg fehlt zum Beispiel eine Tangente nördlich der Innenstadt. Undenkbar? Überlegen muss erlaubt sein. Könnte man so nicht die Karlstraße vom Verkehr entlasten? Und niemand wollte sich eine Stadt ohne B 17 oder Schleifenstraße vorstellen. Augsburg muss das Projekt Fahrradstadt weiter mit Leben erfüllen. Es darf auch mal ein ungewöhnliches Leuchtturmprojekt sein, das zeigt: Hey, hier passiert etwas. Und der öffentliche Nahverkehr muss ohne Frage weiter ausgebaut werden. Wahrscheinlich ist es an dieser Stelle sogar schlauer, nicht auf kostenlose Busse und Straßenbahnen zu setzen.
Mit dem vielen Geld kann auf der anderen Seite nämlich auch das Angebot verbessert werden. Die Stadtwerke setzen schon auf Carsharing und eine Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel. Doch die Frage ist: Wie können Bus und Tram so attraktiv und komfortabel werden, dass man das Auto stehen lässt? Eine kleine Utopie: Wie wäre es, wenn am Stadtrand nicht simple Parkplätze auf Pendler und Einkäufer aus dem Umland warten würden. Sondern ein Parkhaus, hell und sicher. Mit Cafés und vielleicht Geschäften. Mit einem beheizten Warteraum, von dem aus man komfortabel umsteigen kann in pünktlich verkehrende Straßenbahnen, die ohne Parkplatzsuche direkt vor dem Büro oder dem Geschäft halten. Der Tarif ist so attraktiv, dass man im Normalfall gar nicht mehr überlegt, ob man anders in die Stadt will. Wie wäre es, wenn es einen Gepäckservice gäbe, der die Einkäufe aus dem Zentrum unabhängig vom Einkäufer in das Parkhaus und damit zum Auto bringt?
Auf der anderen Seite würde Platz geschaffen für Menschen, die mit dem Auto in die Stadt müssen. Es gäbe mehr Raum für Fußgänger, Fahrradfahrer, Einkäufer und spielende Kinder. Viele Menschen, die in der Stadt leben, könnten aufatmen. Und ein DieselFahrverbot wäre ein Gespenst von gestern.
Die Frage lautet: Wem gehört der Lebensraum Stadt?