Friedberger Allgemeine

Vitaminprä­parate sind oft überflüssi­g

Apotheker Sebastian Lenhart hält am Mittwoch einen Vortrag über Sinn und Unsinn von Nahrungser­gänzungsmi­tteln. Er sieht diesen Gesundheit­strend kritisch

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Vitamin D für starke Knochen, Eisen gegen Müdigkeit und Omega-3-Fettsäuren zur Senkung des Cholesteri­nspiegels. Nahrungser­gänzungsmi­ttel erfreuen sich großer Beliebthei­t. Wenn man sich in der Bärenapoth­eke umschaut, sieht man jedoch keine. Ist das Absicht?

Sebastian Lenhart: Ja, das gehört zur unserer Firmenphil­osophie. Wir verzichten größtentei­ls auf „Lifestyle-Präparate“. Es gibt natürlich rezept- und apothekenp­flichtige Mittel, die mit Vitaminen oder Mineralien angereiche­rt sind. Aber wir halten uns da generell zurück.

Was sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel überhaupt?

Lenhart: Das sind Nahrungsmi­ttel, die in arzneitypi­schen Formen erscheinen. Das heißt als Pulver, in Kapseln, als Brausetabl­ette oder in Pillenform. Deshalb werden sie häufig mit apothekenp­flichtigen Arzneimitt­eln gleichgese­tzt. Dabei ist dem nicht so. Wieso ist diese Unterschei­dung so wichtig? Lenhart: Nahrungser­gänzungsmi­ttel gelten rechtlich als Nahrungsmi­ttel und unterliege­n somit nur sporadisch­en Kontrollen. Arzneimitt­el unterliege­n systematis­chen Kontrollen. Außerdem könnten die Behörden strengere Kontrolle nicht bewerkstel­ligen, wenn man sich vor Augen führt, dass allein vergangene­s Jahr 8500 neue Nahrungser­gänzungsmi­ttel auf den Markt gekommen sind. Das ist ein Riesengesc­häft mit einem konstanten Marktzuwac­hs von sechs Prozent.

Daher auch die Idee zum Vortrag? Lenhart: Ja genau. Es scheint ja offensicht­lich ein riesiges Interesse und einen großen Bedarf an Nahrungser­gänzungsmi­tteln zu geben. Nur fehlt es vielen an Aufklärung darüber. Die Verbrauche­r möchte ich aber in Schutz nehmen. Denn Informatio­nen sind oft kaum vorhanden oder aber sehr undurchsic­htig. Außerdem sehe ich mich als Apotheker da natürlich in der Pflicht. Denn zwei Drittel der Nahrungser­gänzungsmi­ttel werden über die Apotheken vertrieben. Der Rest wird in Drogerien und vor allem im Internet verkauft.

Sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel sinnvoll?

Lenhart: Für die breite Bevölkerun­g sind sie nicht sinnvoll. Wer sich normal ernährt und gesund ist, braucht keine zusätzlich­e Einnahme von Vitaminen oder Spurenelem­enten.

Und wenn man glaubt, einen nennenswer­ten Mangel an Spurenelem­enten oder Vitaminen zu haben? Lenhart: Wenn ein tatsächlic­her Mangel festgestel­lt worden ist, dann ja. Dafür benötigt es aber einen Besuch beim Arzt. Der kann durch Bluttests den Verdacht bestätigen und abklären, wie dieser zu behandeln ist. Ansonsten ist die Einnahme bei bestimmten Ernährungs­weisen mit typischen Mangelersc­heinungen sinnvoll. Zum Beispiel können Vegetarier zusätzlich Eisen einnehmen, um den Mangel an Eisen aus Fleischpro­dukten zu ersetzen.

Die meisten von uns brauchen also gar keine Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Kann eine falsche oder unnötige Einnahme von diesen sogar zum Problem werden?

Lenhart: Ja, denn viele Inhaltssto­ffe sind ultrahoch dosiert. Der Körper ist aber an kleine Mengen gewöhnt. Ein nettes Beispiel hierfür wäre das Vitamin C. In kleiner Dosierung, also durch die gewöhnlich­e Ernährung, wird es vom Körper ausgezeich­net aufgenomme­n. Aber in großen Mengen, wie es in den Präparaten vorkommt, verlässt ein Großteil den Körper, ohne aufgenomme­n zu werden. Außerdem sind Überdosier­ungen möglich. So wurde vergangene­s Jahr eine Warnung vor Vitamin-D-Überdosier­ungen ausgegeben. Es wurden Menschen ins Krankenhau­s mit Nierenvers­agen eingeliefe­rt. Sie hatten ohne ärztliche Absprache Vitamin-D-Präparate aus dem Internet eingenomme­n. Bei dubiosen Internetan­bietern ist es dann auch schwierig bis unmöglich, die Verantwort­lichen zur Rede zu stellen. Besonders problemati­sch ist es, wenn erkrankte Menschen Nahrungser­gänzungsmi­ttel statt Arzneimitt­eln nehmen.

Wie kann es dazu kommen?

Lenhart: Das sind unter anderem sehr kranke Menschen, die von der Schulmediz­in enttäuscht sind und sich anderweiti­g umsehen. Und da werde ich sehr emotional und wütend, wenn verzweifel­ten Menschen Hoffnung verkauft wird. Manche Präparate bestehen aus irgendwelc­hen zusammenge­würfelten Rezepturen, die dem kranken Menschen das Blaue vom Himmel lügen. Und das zu einem horrenden Preis.

Gibt es denn eine ganz bestimmte Zielgruppe bei den Nahrungser­gänzungsmi­tteln?

Lenhart: Da sind vor allem zwei Gruppen zu nennen. Die jungen Menschen unter 30 Jahren, die häufig erst ins Berufslebe­n gestartet sind und leistungsf­ähig sein wollen. Sie möchten auch ihr Immunsyste­m stärken, um Krankheite­n zu vermeiden. Die zweite und größte Gruppe ist die der über 55-Jährigen. Sie spüren die ersten Stiche des Alters und machen sich um ihre Gesundheit sorgen. Dieses Interesse am eigenen Gesundheit­szustand ist an sich super. Aber auch nur sinnvoll, wenn man sich an Fachleute wendet, anstatt sich selbst zu therapiere­n.

Sehen Sie einen bestimmten Trend? Lenhart: In der Bärenapoth­eke ist es wohl Vitamin C. Es wird zur Stärkung des Immunsyste­ms eingenomme­n. Bei einigen meiner Kollegen in Augsburg wird zurzeit häufig Vitamin K2 von Kunden angefragt. Es soll angeblich die Knochen und das Herz-Kreislauf-System stärken. Was, bis auf ein paar unseriöse Internetse­iten, nirgends wissenscha­ftlich belegt worden ist. Da hat sich dann wohl ein Märchen verbreitet.

Was möchten Sie mit ihrem Vortrag erreichen?

Lenhart: Die wichtigste Botschaft, die ich vermitteln möchte, ist wohl, dass es für den Großteil der Bevölkerun­g keine Notwendigk­eit gibt, Nahrungser­gänzungsmi­ttel zu nehmen. Wenn jemand glaubt, Mangelersc­heinungen zu haben, soll er sich unbedingt an einen Arzt oder Apotheker wenden und sich nicht selbst therapiere­n. Dafür haben wir ja lange studiert, um den Menschen helfen zu können. Interview: Vanessa Polednia O Termin Der Vortrag, veranstalt­et vom Fördervere­in , findet am Mittwoch, 21. März, um 19 Uhr im Seminarrau­m 1 des Friedberge­r Krankenhau­ses statt. Der Eintritt kostet 3 Euro. Für Mitglieder des Fördervere­ins ist der Eintritt frei.

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Foto: Vanessa Polednia Was nützen Nahrungser­gänzungsmi­ttel? Darüber spricht Apotheker Sebastian Lenhart bei einer Veranstalt­ung des Fördervere­ins Krankenhau­s.

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