Und plötzlich klafft da ein Riss
In der Bauernbräustraße wird ein altes Haus abgerissen – mit bösen Folgen für das frühere Weinnest daneben
Friedberg Da bekam Christl Fischer einen ordentlichen Schreck: Die Abrissarbeiten am Nachbargebäude hatten gerade erst begonnen, da rief ihre Tochter sie auf den Dachboden in der Bauernbräustraße. Ein großer Riss klaffte in der Wand, durch das alte Gemäuer konnte sie nach draußen sehen. Auch an anderen Stellen hatten sich in der Wand des Dachbodens Löcher aufgetan, unter dem First fehlte sogar ein Stück. Fischer machte sich Sorgen um ihr Haus, in dem früher das Weinnest ansässig war. Wie konnte es dazu kommen?
Schuld ist offenbar die schlampige Bauweise vergangener Zeiten. Das Alter der beiden Gebäude kann heute nicht mehr genau festgestellt werden, immerhin reichen die Akten bis ins Jahr 1800 zurück. „Wo bereits eine Wand steht, können wir uns die zweite sparen“, dachten wohl die damaligen Architekten, und so entstanden zwei Gebäude mit einer gemeinsamen Mauer – nach heutigen Bauvorschriften undenkbar, aber in der Friedberger Altstadt durchaus nicht ungewöhnlich.
Bernhard Spielberger gehört das Gebäude, das nun neu gebaut werden soll. „Es war bereits so marode, dass eine Renovierung nicht mehr sinnvoll gewesen wäre“, meint er. „Der Abriss selbst macht keine Schwierigkeiten. Gegen Ende könnten sich die Arbeiten jedoch etwas verzögern, falls die Archäologen, die das Vorhaben begleiten, im Erdreich auf historische Funde stoßen“, spekuliert der Bauherr. Wenn alles nach Plan läuft, werde das Haus in zwei bis drei Wochen verschwunden sein.
Der Bauunternehmer wusste von der gemeinsamen Wand ebenso wenig wie seine Nachbarin. „Der Abriss wird vorsichtig vorgenommen, die angrenzenden Gebäude sollen schließlich nicht beschädigt werden“, versichert er. Deshalb könne nicht einfach mit der Abrissbirne gearbeitet werden, sondern das alte Haus werde Stück für Stück abgetragen. „Dass es nur eine Wand gibt, haben wir erst festgestellt, als wir sie entfernen wollten“, sagt er.
Zunächst war unklar, zu welchem Gebäude die Mauer eigentlich gehört, doch schnell stellte sich heraus, dass sie Teil von Spielbergers Haus ist und das nebenstehende Gebäude nur daran angeschlossen wurde. Trotzdem kann der Bauherr nicht einfach seine Wand abreißen und damit eine ganze Seite von Fischers Haus. Einen Neubau mit einer uralten, gemeinsam genutzten Wand will er aber auch nicht. Er sieht zwei Möglichkeiten: „Entweder ich überlasse Frau Fischer die alte Mauer und baue daneben eine eigene. Sie kann sie dann stehen lassen oder renovieren. Oder sie könnte zuerst eine neue Wand einziehen, sodass ich anschließend die alte abreißen und ebenfalls eine neue errichten kann.“
Da das keine leichte Entscheidung ist und es auch um Geld geht – in der Altstadt sind Bauarbeiten kostspielig – trafen sich beide Parteien am Freitag. Mit einem Gutachter und Statikern klärten sie, wie es nun weitergehen soll. Schnell wurden sie sich einig, dass die Mauer bleiben soll, bis die Wand des Neubaus steht, in dem übrigens Wohnungen und Büros entstehen. „Ich werde dann den Teil im Bereich des Dachbodens erneuern“, meint Fischer. „In den unteren Geschossen ist das Mauerwerk noch in gutem Zustand, da wird keine Reparatur nötig sein.“Damit die alte Wand bis dahin stabil bleibt, wurden bereits Stützen angebracht und die gröbsten Schäden behoben.