Warum musste diese Frau sterben?
Eine junge Mutter in Straßburg hat heftige Schmerzen. Doch ihr Notruf wird nicht ernst genommen. In der Klinik kommt jede Hilfe für sie zu spät. Nun wird gestritten, wer die Schuld trägt
Paris/Straßburg In den letzten Stunden ihres Lebens erhielt Naomi Musenga keine Hilfe – sondern erntete Häme. Die 22-Jährige, die am 29. Dezember in einem Krankenhaus in Straßburg starb, hatte zuvor unter heftigen Schmerzen einen Notfalldienst angerufen. Groß ist die Empörung in Frankreich, seit nun die Aufnahme des Gesprächs auf der Internet-Seite des Regionalmagazins
veröffentlicht wurde. „Hallo … helfen Sie mir …“, hauchte Naomi Musenga in den Hörer. „Gut, also wenn Sie mir nicht sagen, was los ist, lege ich auf, ja?“, erwiderte die Telefonistin. „Ich habe… ich habe… Madame, ich habe große Schmerzen im Bauch…“, sagte Naomi Musenga. Sie solle einen anderen Ärzte-Notdienst namens SOS Médecins anrufen, empfahl ihr daraufhin die Servicekraft. „Ich kann nicht… Ich werde sterben.“In der Tat – eines Tages werde sie sterben, so wie jeder Mensch, lautete die ruppige Antwort. „Ich kann Ihnen nicht helfen, ich weiß ja nicht, was Sie haben.“Schnell war das Telefonat beendet. Stunden später gelang es Naomi Musenga, doch den Ärzte-Notdienst SOS Médecins zu erreichen, der sie ins Krankenhaus einliefern ließ, wo sie an mehrfachem Organversagen starb. Die Autopsie wurde allerdings erst fünf Tage später durchgeführt, als sich ihr Körper bereits in einem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung befand.
Was genau den Tod der jungen Mutter einer einjährigen Tochter, die diese alleine aufzog, verursacht hat und ob die zuständige Servicekraft eine Mitverantwortung daran soll nun eine Untersuchung ergeben. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf unterlassene Hilfeleis- tung. Und ganz Frankreich diskutiert den Fall empört. Die Familie Musenga hat Klage eingereicht, will aber ihrem Anwalt zufolge „nicht alträgt, leine die Telefonistin belasten“. Die Gesprächs-Aufnahme erschüttert die Familie sehr, sagte Naomi Musengas Schwester. „Jedes Mal, wenn wir es anhörten, hatten wir den Eindruck, Naomi ein zweites Mal sterben zu hören.“
Auch Gesundheitsministerin Agnès Buzyn hat ihre Empörung über den Vorfall zum Ausdruck gebracht und versprach eine vollständige Aufklärung. Handelte es sich um den Fehler einer Einzelperson – oder liegt er auch im System? Für den Vize-Präsidenten der Nationalvereinigung der Feuerwehrleute Frankreichs, Patrick Hertgen, handelt es sich in erster Linie um das Versagen der Telefonistin. Dennoch fordert er eine bessere Koordination der verschiedenen Notdienststellen, „damit sich so ein Drama nicht nochmals ereignet“.
Die zuständige Telefonistin, eine Notdienst-Mitarbeiterin mit langjähriger Erfahrung, die vorerst vom Dienst suspendiert wurde, hat sich inzwischen anonym in den Medien geäußert. Sie stehe in ihrem Job unter großem Druck, habe manchmal 2000 oder 3000 Anrufe am Tag entgegenzunehmen, rechtfertigte sie sich. Derzeit lebe sie eingesperrt zu Hause: „Ich glaube, wenn die Leute mein Gesicht und meinen Namen kennen würden, wäre ich heute nicht mehr auf dieser Welt.“Tatsächlich kam es in den vergangenen Tagen zu mehreren Droh-Anrufen bei der betroffenen Notdienst-Stelle, ein Mitarbeiter hat selbst wiederum Klage eingereicht.
Am morgigen Mittwoch organisiert ein Zusammenschluss von Bürgern einen Trauermarsch in Straßburg für die tote Frau – „Gerechtigkeit für Naomi“fordern sie.