Schrumpft die Breitenwirkung des großen Lenny Kravitz?
Der musikalisch eigentlich beeindruckende Auftritt des Funk-Rockers in der Münchner Olympiahalle sendete auch bedenkliche Signale. Doch ein bisschen Zuhörer-Schwund könnte für die Zukunft unmittelbarere Konzerte bedeuten
München Am Schluss stehen alle begeistert und feiern ihren Lenny. Es ist halb zwölf in der Münchner Olympiahalle, und dieser unvermindert großartig aussehende, unvermindert stark singende 55-Jährige hat wieder über knapp zweieinhalb Stunden hinweg das bestätigt, was ihn nach 30 Karrierejahren anscheinend unvermindert zu einem der Großen gehören lässt: Dieser Mr. Kravitz serviert nicht nur seine vielen Hits – er ist, mit Bläserfunk und E-Gitarrensoli ausufernd, mit Mitsing-Orgien und Sturm in die Zuschauerränge ausgreifend, eine echte Konzertgranate. Ja, das ist auch an diesem Donnerstagabend bei der Europapremiere „Raise Vibration“-Welttournee so.
Darum stehen jetzt alle, die gerade noch zum abschließenden „Are You Gonna Go My Way?“getanzt haben und zuvor über zehn, fünfzehn Minuten hinweg „Let Love Rule“mitgesungen haben, die in Balladen wie „Believe“und „I Belong To You“schwelgten und zu Lennys Funk-Blues-Rock von „American Woman“bis „Fly Away“vor allem mitgewippt haben. Sie stehen und johlen, all diese jüngeren und älteren Frauen vor allem. Das Problem ist bloß: Alle sind hier gar nicht so viele!
Denn es ist ja nicht nur so, dass dieser Premieren-Abend in einer Halle, die so oft schon rappelvoll um ihren Helden getost hat, einfach nur nicht ausverkauft ist. Die komplette hintere Kurve des Ovals ist sogar mit einem Riesenvorhang abgetrennt, auf den verbliebenen zwei Dritteln der Ränge klaffen deutliche Löcher, und in der Stehplatz-Arena wird es ab der Hälfte auch deutlich luftiger. Statt der 12000 Zuschauer, die in der Olympiahalle maximal Platz finden, haben wohl höchstens 7000 hierhergefunden – und bis zum Ende der Show, in der Lenny die melodisch in der Regel nach einer Minute auserzählten Songs in Langversionen zelebrierte, sind es vielleicht noch mal tausend weniger geworden.
Woran das liegt? Ob auch manche noch kurzfristig weggeblieben sind, weil in den Stunden um das Konzert eine mächtige Gewitterfront über München herrschte? Ob es an der Merkwürdigkeit liegt, dass Lenny Kravitz bereits jetzt groß auf Tour ist, sein neues Album aber, das ihm vielleicht aktuell mehr Aufmerksamkeit verschaffen würde, erst im September erscheinen wird?
Nein, für die echten Fans dieses Herrn, der erst nach vielen Jahren mit coolen langen, dann mit schicken kurzen Haaren, nun wieder mit Wischmopp-Afro auftritt und natürlich meist mit Sonnenbrille, der wie immer sehr wenig zwischen seinen Songs spricht, außer mal in ewigem Hippie-Chic Frieden und Einigkeit in einer wirren Welt wie der heutigen zu beschwören – für die echten Fans dieses Herrn ist das hier ein Muss und ja auch eine sichere Bank für einen euphorischen Abend.
Da braucht Lenny kein BühnenEffekt-Spektakel, kein Konfetti und keine Monitore, die das Gesicht der Stars in den Mittelpunkt rücken würden. Da reichen geschmackvolle Lichtstimmungen, großartige Musiker und seine eigene unmittelbare Präsenz. Bleibt also eigentlich nur ein Schluss: Die Breitenwirkung dieses großen Rockers scheint am Schrumpfen zu sein.
Sind seine großen Hits schon zu lange her? Der Vorgeschmack aufs neue Album mit einem Song namens „Low“verheißt auch eher Gewohntes – Ordentliches statt Durchschlagendes. Oder fällt gerade das auf Lenny zurück, was er neulich in einem Interview bemängelt hat: Dass die Zeiten für echte E-Gitarrenmusik keine guten mehr sind? Womöglich.
Gegenwart und Zukunft gehören jedenfalls nicht dem Rock. Man muss sich wohl trotzdem nicht um Lenny sorgen. Sein Fan-Stamm sollte ihn noch für einige Jahre tragen. Und wenn es nicht mehr in den größten Arenen ist – umso besser vielleicht. Denn Lenny Kravitz in kleinerem Format, noch näher, noch unmittelbarer seine Musik zelebrieren zu hören, könnte für seine Verehrer(innen) eine noch größere Freude bringen. Dass er selber durch kleinere Hallen die Lust an seinem Tun verlieren könnte, scheint jedenfalls nach einem solchen Abend wie an diesem Donnerstag in München ausgeschlossen.