„Das Beste ist noch nicht vorbei“
Das Modularfestival hält Überraschungen parat und dem Wetter stand
Die Besucher saßen gemütlich im Schatten an der Bühne im Park, als am Freitagnachmittag die Schrobenhausener Band Zack Mathieu spielte. Wer nicht gerade vor den Boxen saß, unterhielt sich mit seinem Nebenan, sah dem Treiben auf der großen Wiese zu oder beobachtete, wie Frauen und Männer am Paintball-Stand versuchten, Trump oder Putin abzuschießen. Applaus unterbrach die Szene. Der Sänger der Rockband sprach aus, was sich viele Besucher dachten: „ Wir finden es total schade, dass sich so viele Anwohner über das Festival aufregen.“
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Dann nahm der Freitag der geteilten Welten bei perfektem Festivalwetter, leicht bedeckt, nicht zu heiß, langsam an Fahrt auf. Auf der großen Bühne am Turm herrschten die Beats, Hip-Hop-Tag, der mit Afrob am frühen Abend schon einen ersten Höhepunkt fand. Nebenan dafür Gitarrenland. Denn auf der Bühne am Park brachten Neufundland erstmals erwähnenswerte Teile des sonst fläzenden Erwachsenen- und flitzenden Kinderpublikums zum engagierten Musikgenuss. Und da war’s erst halb sechs – ein langer Abend stand also noch bevor. Wie er’s am ersten Festivaltag schon gewesen war…
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Am Donnerstag, als die schier endlose Besucherschlange entlang des Wittelsbacher Parks kürzer geworden war und alle glücklich aufs Gelände Gelangten sich mit einem Getränk versorgt hatten, betraten Ätna die Parkbühne – ein Duo aus Dresden, dessen Musik so ganz anders ist als ihr lavabrodelnder Name: Der unterkühlt elektronische Pop der beiden, die sich nach eigener Aussage in einer Polonaise kennengelernt haben, erinnerte stark an die dänische Elektronik-Avantgardistin Fever Ray, ist nur weniger verstörend. Es passte, dass sich zu dieser cleanen Art von Musik die Sonne zum ersten Mal verzog und Sängerin Inéz, wie aus einem dunklen Loch hervorgestiegen, lediglich mutmaßte: „Ich hab gehört, der Sommer ist jetzt da.“
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Die Band Leoniden aus Kiel macht es sich da leichter: Sie brachten den Sommer einfach mit. Musikalisch zumindest. Denn die nach einem wiederkehrenden Sternschnuppenstrom benannte Gruppe bewarb sich mit ihrer Show auf der großen Bühne am Turm um weitere Festivalauftritte – weil sie nach allem klingt, was dem Freiluftpublikum so taugt: nach sonnigem Indie-Pop und RiffRock, nach Disco und Hip-Hop, aber auch nach Red Hot Chili Peppers und Coldplay. Und während Sänger Jakob Amr seine JustinTimberlake-Dance-Moves vorführte, turnte Gitarrist Lennart Eicke so gymnastisch über die Bühne, dass Sportgitarre demnächst ein Kandidat für Olympia werden könnte.
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Und während die Wolken größer und der Himmel grauer wurde, wurde auch die Musik düsterer. Der Belgier J. Bernardt machte dunkel gefärbten, elektronischen R ’n’ B mit tiefen Bässen und majestätischen Fanfaren aus der Sample-Maschine. Kenner fühlten sich vielleicht an den britischen Musiker Sohn erinnert, alle anderen staunen einfach so über diese ModularÜberraschung. Man müsste gar von einer Entdeckung sprechen, wäre J. Bernardt alias Jinte Deprez nicht schon ein alter Hase. Er ist einer der Köpfe der Indie-Rocker Balthazar. Zu diesem starken Auftritt leider: die ersten Regentropfen.
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Die Besucher waren davon allerdings noch unbeeindruckt, sie lauschten der Musik und entspannten auf dem Festivalgelände, wo es alles gibt. Fast alles. Außer eine ganz normale Bratwurst, wie sich Nina Sonnenberg beschwerte. Die Rapperin, besser bekannt als Fiva, hielt an diesem ersten Abend die Fahne des Hip-Hop hoch. Als Sonnenberg „Das Beste ist noch nicht vorbei“deklamierte, hörte sich das nicht nur nach einem guten Song an, sondern nach einer schönen Devise für das weitere Festival.
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Dumm nur, dass es sich danach so anfühlte, als wäre an diesem Abend das Beste doch schon vorbei. Denn bei Mine & Fatoni, diesem ungewöhnlichen Gespann aus Pop-Sängerin und Rapper, regnete es so unablässig, dass hunderte Besucher das Weite suchten, ob ins trockene Innere der Kongresshalle oder gleich nach Hause. Pünktlich vor dem Auftritt des prominentesten Künstlers schien unter Gewitterwolken die Festivalfreude verflogen.
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Doch nein: Für Olli Schulz wagten sich doch wieder tausende Fans nach draußen unter den beleuchteten Hotelturm. Seifenblasen stiegen über die Köpfe der dampfenden Menge hinweg glitzernd in den Nachthimmel, Fans in Regenponchos sahen beim Tanzen im Gegenlicht aus wie Geister. Auf der Bühne schöpfte Olli Schulz aus 15 Jahren Songwritertum. Vielen dürfte er vor allem bekannt sein durch seine Auftritte in der Show von Joko und Klaas sowie als emotional engagierter Gesprächspartner von Jan Böhmermann im Podcast „Fest&Flauschig“. Auch beim Modular-Festival holte der 44-Jährige zwischen den Songs tief Luft. Man wusste: Jetzt kommt was Grundsätzliches. Schulz erzählte, atemlos und mit Hamburger Akzent, wie er seiner Tochter auf einem Volksfest den AfD-Luftballon wegnehmen musste. Warum? „Weil’s Nazischeiße ist!“Und weil jeder da unten vor der Bühne andere davon überzeugen müsse.
Dann schrammelt er wieder seine Gitarre und spielt seine Hymne auf die Musik: „Als Musik noch richtig groß war, lernte ich das Leben kennen.“An diesem Abend ist sie es wieder. Und Olli Schulz’ letzter Song kann genauso gut als Fazit des ersten Festivaltages stehen: „Ich weiß nicht, wie es aufhört, aber so muss es beginnen.“
Vom Modularfestival berichten Marcus Golling, Sarah Ritschel, Wolfgang Schütz und Miriam Zißler.