Eine Alternative zur Straße
In Augsburg bietet das Projekt „Happy Kids“Grundschülern Mittagessen und Betreuung an. Warum die Kartei der Not die Initiative von Anfang an unterstützt hat
Augsburg Die Neunjährige isst still und langsam. Um sie herum sind die meisten Kinder bereits fertig mit ihrem Mittagessen. Haben sich schon einen Apfel geschnappt. Räumen die Spülmaschine ein. Zehn Kinder im Alter zwischen sieben und elf sitzen um den langen Tisch in einem großen Raum im Jugendhaus Kosmos im Augsburger Univiertel. Viele unterhalten sich, lachen, springen immer mal wieder auf, rennen raus in den Hof mit der Wiese, bevor es in den kleineren Raum zum Hausaufgabenmachen geht. Der Großteil von ihnen sind Grundschüler der angrenzenden BleriotSchule. Was die meisten Kinder verbindet: Sie sind auf eine kostengünstige und sehr flexible Betreuung angewiesen. Das Projekt „Happy Kids“bietet ihnen genau das an fünf Tagen in der Woche.
Es war ein Einbruch, der das Projekt entstehen ließ. Ein Einbruch von Grundschülern in eine Kindertagesstätte, erzählt Robert Mailer, der Leiter von „Happy Kids“. „Die Kinder klauten damals nichts.“Sie sind dort einfach geblieben, suchten Essbares, weil sie Hunger hatten und spielten. „Sie hatten keinen Ort, wo sie nach der Schule hin konnten“, erklärt der Sozialpädagoge. Niemanden, der sie mit einem Mittagessen versorgt. Die Eltern, so habe sich herausgestellt, waren in der Arbeit oder konnten sich aus anderen Gründen nicht um ihre Kinder kümmern. Es waren sogenannte Schlüsselkinder. Fürs Jugendhaus waren sie noch zu jung.
Diesen Kindern ein regelmäßiges warmes Mittagessen zu bieten, eine Möglichkeit, Hausaufgaben zu machen und in einem geschützten Raum zu spielen oder gemeinsam Ausflüge zu machen, war von Anfang an das Ziel von „Happy Kids“. Vor zehn Jahren ging das Projekt an den Start. Träger ist der Stadtjugendring. Finanziert wird es von der Stadt Augsburg, die Kartei der Not fördert das warme Mittagessen für die Kinder. Dem Kuratorium unseres Leserhilfswerks „liegen besonders benachteiligte Kinder am Herzen, da sie immer unverschuldet unter Notlagen leiden“, so Arnd Hansen, Geschäftsführer der Kartei der Not. Gerade für die Kinder seien Chancen, wie sie „Happy Kids“bietet, sehr wichtig, damit sie sich aus der Not heraus in ein erfolgreiches Leben entwickeln könnten, sagt Hansen.
Sozialpädagoge Mailer steht ruhig und lächelnd zwischen den aufgeregt umhersausenden Kindern, die nach dem Mittagessen und den sitzenden Stunden in der Schule offensichtlich erst einmal Bewegung brauchen. Viele müssen auch unbedingt etwas erzählen. Serena Shtrezi, die Lehramt studiert, und Sozialpädagogin Monika Wimbauer sind gesuchte Ansprechpartner der Buben und Mädchen. Zwölf Plätze zählt das Projekt. Längst gibt es eine Warteliste. Es ist nicht der einzige Stadtteil, da ist sich Mailer sicher, der so ein Projekt dringend braucht.
Natürlich gibt es längst Ganztagsklassen und Horte. Aber oft haben seiner Einschätzung nach gerade Eltern, die sehr viel, sehr flexibel oder in Schicht arbeiten müssen, ein schlechtes Gewissen, ihre Kinder fest in einer Ganztagsbetreuung anzumelden. Haben diese Eltern dann wirklich mal einen Nachmittag Zeit, versuchten sie ihn oft mit ihren Kindern zu verbringen. Und genau das sei bei „Happy Kids“möglich. Wichtig ist nur, dass sich die Eltern am gleichen Tag noch melden, falls ihr Kind nicht kommen kann.
Mailer betont, dass der Großteil der Eltern der „Happy Kids“auf eine sehr preiswerte Betreuung angewiesen ist. Viele Familien kommen mit deutschen Wurzeln aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Staatliche Hilfe würde vielen zwar zustehen, doch die Scham sei oft zu groß, sie zu beantragen. Bevor aber die Kinder nach der Schule sich selbst überlassen auf den Straßen verbringen, wollten Stadt und Kartei der Not eine Alternative bieten.
Es ist eine Alternative, die bei den Kindern sehr gut ankommt. Begeistert erzählen sie, wie sie in der Gruppe Freunde gefunden haben, miteinander Fußball spielen, mit Kreide den Boden bemalen, einfach nicht alleine zu Hause sitzen müssen. Ein neunjähriger Junge gibt zu, dass er ursprünglich gar nicht her wollte. Doch zu Hause klappt es einfach nicht mit den Hausaufgaben. „Da lenkt mich alles ab.“Hier gelingt es. „Und danach kann ich Bowling spielen mit meinen Freunden oder etwas anderes, am liebsten aber etwas mit Bällen.“
Das neunjährige Mädchen, das nachdenklicher wirkt als die anderen und etwas länger am Mittagstisch sitzen geblieben ist, erzählt, dass es auch gerne Ball spielt. Am liebsten Basketball. Überhaupt sei sie am liebsten draußen. Bei jedem Wetter. „Weil ich gerne Sport mache.“Allein zu Hause ist sie dagegen gar nicht gerne. Die Eltern sind getrennt. Geschwister hat sie keine. „Zu Hause habe ich immer so Angst“, sagt sie, „vor allem, wenn es ganz still ist.“