Was Brecht nie realisierte
Das „Ruhrepos“bei den Ruhrfestspielen
Recklinghausen Es sollte „ein künstlerisches Dokument des rheinischwestfälischen Industrielandes“werden: das „Ruhrepos“von Bertolt Brecht, Kurt Weill und Carl Koch – wäre es denn realisiert worden. Die Stadt Essen hatte die Künstler 1927 eingeladen, eine Industrie-Oper zu kreieren, ein künstlerisches Denkmal, das die Essener Oper auf der Landkarte des deutschen Theaters sichtbar machen würde. Plötzlich aber bekamen die Verantwortlichen in Essen kalte Füße, offenbar machten antisemitische Kräfte ihren Einfluss geltend.
Brecht (Text), Weill (Musik) und Koch (Filmprojektionen) konzipierten eine multimediale Show in Form einer Revue und ästhetisch auf der Höhe internationaler Avantgarden. Die Künstler bereisten dafür tagelang inkognito die Region – über und unter Tage, per Auto, Flugzeug und Förderkorb. Der jüdische Komponist Weill schrieb seiner Frau von der „Ungerechtigkeit, dass Menschen 700 Meter unter der Erde in völliger Finsternis, in einer dicken schweligen Luft eine unerträglich schwere Arbeit verrichten, nur damit Krupp zu ihren 200 Millionen jährlich noch 5 hinzuverdienen – das muss gesagt werden, und zwar so, dass es keiner mehr vergisst“.
„Dieser Stoff hat alles“, begeistert sich der Münchner Autor und Brecht-Fan Albert Ostermaier. Zusammen mit dem isländischen Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson greift er die Geschichte des visionären Werks nun bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen auf. „Die verlorene Oper. Ruhrepos“wird am Mittwoch bei den Festspielen uraufgeführt. Wenn man bedenke, so Ostermaier, dass kurz nach dem Reinfall an der Ruhr Brechts und Weills „Dreigroschenoper“in Berlin uraufgeführt worden sei, frage man sich, wie viel „Ruhrepos“in der „Dreigroschenoper“stecke.
Ähnlich wie die Originalidee hat Ostermaier – 2010 Augsburger Brecht-Preisträger – sein Theaterprojekt als „Zeitreise durch das Ruhrgebiet“angelegt, „von der Vergangenheit bis in die Zukunft“. Seinen Worten zufolge soll es „eine Oper über das Verlorene“sein, aber noch mehr als alles andere ein Stück über „die Suche, das Existenzielle des Suchens und der Suchbewegung“. Das passt. Im Schließungsjahr der letzten Steinkohlenzeche ist auch das Ruhrgebiet auf der Suche – nach neuer Identität.