Ein neues Dorf fürs Allgäu
Freizeit Einst lagerten in den Bunkern auf dem 184 Hektar großen Waldstück die Munitionsvorräte der Bundeswehr. Jetzt entsteht dort ein Freizeitpark mit 1000 kleinen Häusern und riesigem Spaßbad – das größte Tourismusprojekt in der Geschichte der Urlaubsr
„Wer sieben Tage bucht, bleibt nicht sieben Tage im Park.“
Park Manager Christoph Muth „Sie hatten da mals Angebote aus halb Süddeutschland.“
Oberbürgermeister Hans Jörg Henle
Leutkirch
Eine frisch geteerte Straße, gesäumt von jungen Bäumen, führt einen kleinen Hang hinauf. Dort oben, umgeben von Wald, entsteht derzeit der neue Center Park Allgäu in Leutkirch – das größte Tourismusprojekt in der Geschichte des Allgäus. Von weitem blitzen vereinzelt Kräne durch die hohen Wipfel, viel mehr ist von der Riesen-Baustelle nicht zu erkennen. An einer Zufahrtsschranke ist dann Schluss. Der Pförtner lässt nur Baufahrzeuge und Berechtigte durch. Da nützt auch ein Anruf bei der Pressestelle nichts. Denn Führungen über das FeriendorfGelände gibt es erst wieder nach der Eröffnung im Oktober. Jetzt sei dafür keine Zeit mehr, teilt Sprecherin Sabine Huber mit. Um sich trotzdem einen Eindruck machen zu können, schickt sie Bilder von einigen Ferienhäusern und dem zentralen Gebäude, aus dem sich grüne, blaue und rote Wasserrutschen schlängeln. Hier ist in fast zwei Jahren ein neuer Stadtteil entstanden.
Knapp sieben Kilometer weiter sitzt Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle in seinem Rathaus. Er hat das Feriendorf ins Allgäu geholt. Die Idee kam ihm, als er 2008 einen Zeitungsartikel über ein umstrittenes Center-Parcs-Feriendorf in Ansbach las, das später nie realisiert wurde. Als Ersatzgrundstück brachte Henle das 184 Hektar große ehemalige Bundeswehr-Munitionsdepot in Leutkirch ins Gespräch. Eigentlich war auf dem Gelände ein Sägewerk geplant. „Das war zwar so entschieden, ließ sich aber nicht umsetzen“, blickt Henle zurück. Ein Ferienpark sei also „die Lösung“gewesen. Nach einigen E-Mails und Anrufen kam es im März 2009 zu konkreten Gesprächen mit Center Parcs. „Sie hatten damals Angebote aus halb Süddeutschland“, sagt Henle.
Bei einem ersten Ortstermin im April mit Gerard Brémond, Chef der Unternehmensgruppe Pierre & Vacance, zu der Center Parcs gehört, präsentierte sich das Allgäu von seiner besten Seite: „Die Nagelfluhkette war zu sehen, der Himmel war blau und der Löwenzahn auf den Wiesen gelb“, erinnert sich Henle. Das gefiel den Konzernvertretern, und die Planungen wurden konkreter. Um sich auch die Zustimmung der Leutkircher zu sichern, gab es im September 2009 einen Bürgerentscheid. Dabei sprachen sich 95,1 Prozent der Stimmberechtigten für das Projekt aus. „Eine Wahnsinns-Zustimmung“, sagt Henle.
Das bestätigen die Leutkircher auch heute noch: „Wir freuen uns auf die Eröffnung“, sagt eine Frau, die seit zehn Jahren in der Stadt wohnt. Zum einen sei es toll, ein solches Erlebnisbad in unmittelbarer Nähe zu haben, und zum anderen böten sich für Verwandte oder andere Besucher neue Übernachtungsmöglichkeiten. „Viele haben sich auch dort beworben“, sagt Margot Hildebrand. Sie hofft, dass durch den Ferienpark auch wieder mehr Geschäfte in der Stadt aufmachen.
13 Kilometer weiter im beschaulichen Markt Altusried (Landkreis Oberallgäu) sind die Meinungen geteilt. Eine 78-jährige Dorfbewohnerin fürchtet zum Beispiel, dass noch mehr Fahrzeuge die Straßen belasten. Schon jetzt sei der Wunsch nach einer Umgehung groß, erzählt sie und beobachtet die vorbeifahrenden Autos und Lastwagen. Klaus Hack- der gerade vor dem Kultur- und Verkehrsamt an der Hauptstraße steht, glaubt hingegen nicht an negative Auswirkungen. Die Hauptstrecke zum Center Park Allgäu führe über Leutkirch, sagt der frühere Gemeinderat. Außerdem würden auch die Altusrieder vom Freizeitangebot des Center Park profitieren. Sie bekommen zum Beispiel ebenso wie die Einwohner von Leutkirch 20 Prozent Nachlass auf den Eintritt ins Erlebnisbad. Hackler findet auch: „Man muss froh sein, dass es Investoren gibt, die so ein Areal nutzen.“
Denn bevor auf dem ehemaligen Munitionsdepot überhaupt gebaut werden konnte, mussten für mehrere Millionen Euro Altlasten der Militärzeit beseitigt werden. Das Munitionsdepot wurde 1939 zwischen Leutkirch und Frauenzell angelegt und bis in die 1990er Jahre genutzt. Auf Kosten von Center Parcs befreite eine Spezialfirma das Gelände zum Beispiel von Patronenhülsen und Granaten. 200 Bunker wurden rückgebaut. Nur das 20 Kilometer lange Straßennetz blieb großteils erhalten und wurde verlängert. Im Sommer 2016 fiel der Startschuss für den Bau des Allgäuer Parks. Vorausgegangen war eine achtjährige Vorbereitungszeit – allein der Bauantrag für den Ferienpark füllte 150 Aktenordner. Kompliziert war vieles deshalb, weil der Center Park nicht nur auf Leutkircher, sondern zu 15 Prozent auch auf Altusrieder Flur entstand, erzählt Leutkirchs Oberbürgermeister Henle: „Zwei Landkreise, zwei Gemeinden, zwei Bundesländer und zwei Regierungsbezirke. Man musste alles doppelt machen.“Seither sind 1000 Ferienhäuser sowie das zentrale Gebäude der Anlage, der sogenannte Market Dome, errichtet worden. Alles fertig zu sehen und besichtigen zu können, darauf freut sich Henle schon sehr. Ein solches Großprojekt begleite man im Leben wohl nur einmal, sagt der Oberbürgermeister.
Der Center Park Allgäu ist mit einer Investitionssumme von 350 Millionen Euro aber nicht nur eines der größten Bauprojekte in der Region, sondern auch der größte Arbeitgeber im touristischen Bereich. 1000 Stellen sind im neuen Ferienpark insgesamt zu besetzen. Die meisten, etwa 350, werden im Bereich Reiniler, gung angeboten. Dazu kommen noch 100 Arbeitsplätze in der Küche, 150 im Service und 50 im tropischen Badeparadies. Etwa 250 Mitarbeiter werden direkt bei Center Parcs angestellt, die restlichen arbeiten für die sieben Partnerunternehmen, die unter anderem in den Fachbereichen Reinigung, Gastronomie und Spa & Wellness Spezialisten sind, teilt das Unternehmen mit. Besetzt seien inzwischen 35 Prozent der Stellen, in manchen Bereichen schon zu 80 bis 90 Prozent, sagt Sprecherin Sabine Huber.
Der große Bedarf an Personal ist einer der Gründe, warum der Center Park Allgäu auch Kritik erntet. „Ich glaube nicht, dass Center Parcs genug Arbeitskräfte findet, geschweige denn Wohnraum für sie“, sagt etwa der Oberallgäuer Landrat Anton Klotz. Im touristischen Bereich sei der Arbeitsmarkt in der Region ohnehin angespannt. Die Situation werde durch Center Parcs verschärft. Viele Fachkräfte wandern ab, berichtet auch der Geschäftsführer von Oberstdorf Tourismus, Horst Graf. Dadurch fehle in der größten Tourismusgemeinde im Oberallgäu Personal: „Das hat uns weh getan.“Center Parcs ist ein attraktiver Arbeitgeber, sagt General-Manager Christoph Muth. Das Unternehmen biete unter anderem flexible Arbeitszeitmodelle, es gebe einen Betriebsrat und flache Hierarchien, so Muth.
Oberstdorfs Tourismus-Chef Graf sieht aber auch die andere Seite: „Ich freue mich, dass mit dem Center Park in Leutkirch etwas Neues entsteht, das Strahlkraft auf das ganze Allgäu hat.“Auch Landrat Klotz will sich nicht als Gegner des Ferienparks verstanden wissen. „Das ist eine tolle Herausforderung. Man darf aber auch nicht alles durch die rosarote Brille sehen.“
Denn die Infrastruktur in vielen touristischen Gebieten im Allgäu sei auch ohne zusätzliche Center-ParkGäste bereits überlastet. Wenn sich jetzt auch noch die jährlich erwarteten 300000 Besucher mit ihren Autos auf den Weg zu den Hotspots machen, sei das nicht zuletzt für die Umwelt und die Einheimischen eine hohe Belastung, sagt Graf. Er hoffe, dass die Gäste des Ferienparks von Leutkirch aus gebündelt und entsprechend gelenkt werden.
Genau das versuche Center Parcs, sagt Park-Manager Muth. Die Besucher sollen motiviert werden, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Der Leutkircher Bahnhof liege relativ nahe. „Diese Besucher können wir ganz anders lenken“, erläutert er. Auch Überlegungen, einen Elektrobus-Shuttle einzurichten, gebe es. Trotzdem würden erfahrungsgemäß die meisten Gäste mit dem Auto anreisen.
Gleichzeitig gibt es Kritiker des Parks, die sich fragen, ob die Gäste eines Ferienparks mit allen möglichen Attraktionen und Freizeitangeboten überhaupt die Anlage verlassen? „Ja, das tun sie“, sagt Muth. Einige Gäste hätten bereits für eine Woche gebucht. „Wer sieben Tage Center Parcs bucht, bleibt nicht sieben Tage im Park“, berichtet der Park-Chef von Erfahrungen aus anderen Anlagen. Außerdem gebe es an zentraler Stelle im Market Dome eine Tourist-Information, in der auf Attraktionen, Veranstaltungen und Ausflüge in der Region hingewiesen werde. Wie genau es sich entwickelt, müsse aber auch er auf sich zukommen lassen. Denn: Center Parcs betreibe bisher keinen Park in einer ähnlich starken Urlaubsregion wie dem Allgäu.