Eine familiäre Tragödie
Die neu inszenierte Oper „Beatrice Cenci“besticht musikalisch und visuell
Bregenz Mit plastischer Musik und opulenten Bildern erzählen die Bregenzer Festspiele eine abgrundtief traurige Geschichte. Es ist die wahre Geschichte der Beatrice Cenci, Tochter eines reichen Patriziers im Rom des 16. Jahrhunderts, die im Elternhaus durch die Hölle geht und sich durch Vatermord zu befreien versucht. Berthold Goldschmidt (1903–1996) hat ihre Tragödie vertont. Der Komponist, der als Jude 1935 Nazi-Deutschland verlassen musste, gewann mit diesem um 1950 geschriebenen Werk in England einen Kompositionspreis der BBC – die szenische Uraufführung erlebte die Oper jedoch erst 1994 in Magdeburg. Eine Rarität auszugraben, die solch schweren Stoff verhandelt, das ist ein Wagnis. In diesem Fall ein lohnendes, schon der überwältigenden Tonkunst Goldschmidts wegen.
Welch eine Düsternis, welch eine Verzweiflung! Ein unermesslicher Albdruck lastet auf Beatrice Cenci, ihrer Stiefmutter Lucrezia und ihrem jüngeren Bruder Bernardo. Graf Francesco Cenci quält und knechtet seine Familie. Wer ihm im Wege steht, den lässt er töten, selbst wenn es eigene Kinder sind. Die Kirche weiß um die Grausamkeiten und schaut weg.
Da ist kein Ausweg, keine Hoffnung. Der verzweifelte Versuch Beatrices, durch offene Anklage des Vaters vor Klerikern und Gesellschaft Hilfe und Schutz zu finden, scheitert. Zur Strafe vergewaltigt der Despot seine Tochter.
All die Grausamkeiten sind wenig ausformuliert im Libretto von Martin Esslin. Und auch Berthold Goldschmidt widmet seine musikalische Erzählung weniger den entsetzlichen Taten als der Gefühlswelt der gequälten Opfer. Als wollte er ihre Würde betonen – in dem Moment, wo sie zerstört werden soll. Lyrisch, zurückhaltend, mitfühlend begleitet die Partitur das Leid, gibt den Sängerinnen viel Raum für berührende Arien, Duette und Terzette. Zugleich schildert sie mit wuchtigen Klangbildern die sadistische Brutalität Cencis und die gnadenlose Geldgier der Kirche.
Einen Zugang zu Schauplatz und Zeit ermöglicht Goldschmidt durch kompositorische Kniffe. Er deutet in seinem überwiegend an die Spätromantik angelehnten Werk choralhafte Melodielinien an, bedient sich frühbarocker Tanzformen und greift auf vertraute Harmoniekonzepte zurück, die er freilich auch bricht, um emotionale Ausbrüche zu gestalten. Intensiv sind gerade jene Momente, in denen Geschehen und Musik kaum zusammengehen. In sanftem Gesang geklagtes Leid kann tiefer schmerzen als ein gellender Schrei. Unter Dirigent Johannes Debus haben sich die Wiener Symphoniker ebenso wie der Prager Philharmonische Chor tief in Goldschmidts farbige Klangwelt eingefühlt. Transparent interpretieren sie seine feinsinnige Musik.
Für eine Bühneninszenierung bietet der handlungsarme Leidensweg Beatrices vergleichsweise wenig Spannung. Regisseur Johannes Erath hat seinen Schwerpunkt deshalb auf optische Wirkung gelegt. Mit imposanten Bildern charakterisiert er nicht nur die Gesellschaft jener Zeit, vor allem die Kirche als gnadenlosen Machtapparat, sondern formuliert auch emotionale Zustände und innere Prozesse aus – bis hin zur Verwüstung, die Graf Cenci in der Seele seiner Tochter hinterlässt.
Viele der Symbole und Andeutungen funktionieren grandios. Etwa die Festtafel im Hause Cenci, die Leonardo da Vincis „Abendmahl“zitiert – wobei hier die versammelte Gesellschaft aus Klerikern und Bürgern mit aufgetürmten Perücken und schrillen Gewändern dem Christopher Street Day entsprungen zu sein scheint. Oder der Moment des Mordkomplotts, das Beatrice und Lucrezia schmieden: Hintereinandergestaffelte Projektionen flirrender, hüpfender Kreise machen sichtbar, wie ein unerhörter Gedanke Raum greift, Kraft entwickelt und zum Sog wird.
Auch Stilisierung und Überzeichnung als Mittel sind klug gewählt, unterstreicht Erath damit doch die zeitlose Brisanz des Themas: Unterdrückung und Missbrauch durch Männer gab und gibt es immer. Dennoch zünden nicht alle Ideen, nicht jede Übertreibung steigert die Intensität, im Gegenteil: Manches birgt die Gefahr der Lächerlichkeit. Gewollt sein kann es jedenfalls kaum, dass die Premierengäste lachen, als der auf Geldbergen aufgebahrte Leichnam Graf Cencis den Arm hebt und dem Kardinal den Stinkefinger zeigt.
Die Sängersolisten in Bregenz liefern – nach gebremster Kraft zu Beginn – gute Leistungen ab. Darstellerisch sticht Christoph Pohl als tyrannischer, zynischer Francesco Cenci heraus, der zum Lustgewinn quält und keine Skrupel hat, auch einen Kardinal zu demütigen. Ebenso hat Gal James in der Hauptrolle wesentlichen Anteil an der Eindringlichkeit der Inszenierung. So ergreifend vermittelt sie mit Körper und Stimme das Martyrium der Beatrice, dass der Zuseher ihr nicht widersprechen mag, wenn sie singt: „Schlimmer als der Tod ist Hoffen.“
Hoffnung gibt es keine in diesem Werk. Nur für einen kurzen Augenblick erfährt Beatrice eine trügerische Ahnung von Freiheit. Was bleibt, ist höchstens eine Art Trost. Beatrice selbst spendet ihn, als sie sich nach dem Todesurteil von der Welt verabschiedet – mit einer wunderschön-warmen Melodie, die ein Wiegenlied sein könnte.
Für Beatrice ist Hoffnung schlimmer als der Tod
Aufführungen Nochmals am 22. Juli (11 Uhr) und am 30. Juli (19.30 Uhr). Kartentelefon: 0043 5574 4076.