Die Frage der Woche Fremden Müll aufsammeln?
Es gibt Mitmenschen, die gehen in ihrer Freizeit gezielt los und heben den Müll anderer Menschen auf. Sie investieren also Zeit, um sich mit Zeug zu beschäftigen, das andere Zeitgenossen nicht mehr haben wollten, weil es schmutzig, kaputt oder nutzlos ist – und für dessen korrekte Entsorgung im Mülleimer der Ex-Besitzer entweder zu faul, zu ungeduldig oder zu ignorant war. Müllaufheber sorgen für Aufsehen, weil ihr Verhalten in einer Wegwerfgesellschaft so ungewöhnlich ist. Manch einer wird sogar lokal berühmt: Daniele Rohner in Zusmarshausen etwa. Oder Stephan von Orlow in Berlin, wo er die Gruppe „Die Aufheber“gegründet hat – nachdem ihn übrigens seine zwölfjährige Tochter auf das Wegwerfproblem aufmerksam gemacht hat.
Das Tolle: Die Aufheber ignorieren einfach, dass Müllaufsammeln als uncool und schrullig gilt. Sie schimpfen nicht bloß wie so viele über weggeworfene To-goBecher und den ganzen Müll am Straßenrand, sondern sie schreiten zur Tat. Sie rufen auch nicht wie manch andere Zeitgenossen bei der Stadtverwaltung oder der Stadtreinigung an, damit diese jemanden zum Wegmachen vorbeischickt – schließlich zahle man ja für die Stadtreinigung. Sie bücken sich einfach kurz selber. Problem erkannt, Problem behoben – in wenigen Sekunden. Ein Dienst an der Allgemeinheit, ohne Brimborium und ohne Likes auf Facebook.
Und jetzt mal angenommen: Jeder Bürger bückt sich drei Mal am Tag, um fremden Müll aufzuheben – das würde nicht nur die Umwelt sauberer machen, sondern die höhere Aufsammlerdichte würde auch den Druck erhöhen, Abfall korrekt in den dafür vorgesehenen Behältern zu entsorgen. Dann fällt nämlich nicht mehr der Aufheber, sondern der Wegwerfer auf – und zwar negativ.
Wissen Sie was? Ich achte vielleicht mehr auf Müll auf der Straße als viele Saubermänner und Blankputzer. Aber ich würde fremden Abfall nicht aufräumen. Mitnehmen aber schon, gelegentlich. Eine platte, rostfarbene Getränkedose oder handbeschriebene Zettel. Beides sammele ich. Spuren im öffentlichen Raum sind faszinierend.
Die Straßen, Rinnsteine, Plätze sind voller Zeichen, die zum Leben Unbekannter gehören. Müll spricht, er erzählt Geschichten, er durchlebt Metamorphosen. Zigarettenschachteln, Kaffeebecher, Bananenschalen: Strandgut, angespült vom Zufall, Flaschenpost aus dem Alltagsleben (weggeworfen von gedankenlosen, verloren von zerstreuten Leuten). Wir können froh sein, nicht im klinisch sauberen, aseptisch langweiligen Singapur zu leben.
Einmal sah ich eine ziemlich ramponierte Spielzeugpuppe auf dem Gehsteig liegen. Stunden später fehlte der Kopf. Der tauchte am nächsten Morgen 50 Meter weiter auf einer Fensterbank auf, um dann von irgendwem in den Abfallkorb geworfen zu werden. Und da lag er, ganz unten. Einen weiteren Tag später, der Abfallkorb war ganz voll, lag der Kopf obenauf. Müll-Magie – die Dinge führen ein Eigenleben. Ich sehe das gern. Und die Müll-Stillleben enden doch fast immer zuverlässig auf die gleiche Weise: die Männer von der Straßenreinigung sammeln auf und kehren zusammen. Das ist ihr Job – und es funktioniert.
Warum also sich bücken und dabei auf die Mitmenschen schimpfen? Es genügt, seine Umwelt selbst nicht zu vermüllen. Wenn wir beginnen, hinter anderen herzuputzen, wäre das auch das falsche Signal für Müllfallenlasser. Und doch (ohne das Contra jetzt weichspülen zu wollen): Im Wald habe ich auch schon Plastiktüten aufgehoben und entsorgt.