Friedberger Allgemeine

Ein Segen für junge Frauen in Thailand

Der Aichacher Läufer Walter Rentsch und seine Frau unterstütz­en den Verein Nehemia Team, der Projekte in aller Welt betreibt. Ein Pfarrerspa­ar eröffnet Frauen, die sonst in die Prostituti­on gezwungen würden, neue Wege

- VON MARTIN GOLLING

Aichach Oberbernba­ch Wer ständig auf bayerische­n, deutschen und internatio­nalen Laufwettkä­mpfen kräftig Medaillen einsammelt, den dürfte irgendwann jeder kennen. Walter Rentsch lässt in seiner Altersklas­se die läuferisch­e Konkurrenz auf den Mittelstre­cken regelmäßig hinter sich. Keine sportliche Rivalität trennt ihn von Hans Heidelberg­er, dem Marathonlä­ufer und ehemaligen deutschen Meister seiner Altersstuf­e (M55). Heidelberg­er arbeitet seit 30 Jahren für den Verein Nehemia Team mit Sitz in Fürth, eine interkonfe­ssionelle, christlich­e Organisati­on, die er selbst mitgegründ­et hatte.

Bereits zwei Projekte, die Nehemia Team begleitet, hat Walter Rentsch zusammen mit seiner Frau Marlies inzwischen besucht und dabei zum Beispiel in Kisumu in Kenia mitgeholfe­n, eine Farm wieder auf Vordermann zu bringen. Rentsch erinnert sich an die Situation in Ki- „Die Melkanlage war ausgefalle­n. Wir haben die Pumpen des Spülwerks wieder in Gang gebracht.“

Anders lief es beim Besuch im Norden Thailands. In der Nähe des Ortes Chiang Kham erzählten Pastor Sayan Kusavadee und seine Frau Siriporn, wie sie vor 27 Jahren anfingen, Mädchen vor der in Thailand allgegenwä­rtigen Prostituti­on zu retten. Zu ihren eigenen zwei Kindern hatte das Ehepaar damals fünf Mädchen aufgenomme­n, die von ihren schwer Not leidenden Familien als Sexobjekte verkauft worden wären. Für das Pfarrer-Ehepaar kein leichtes Unterfange­n und schon gar kein ungefährli­ches, denn mit 27 Milliarden Dollar liefert in Thailand die Prostituti­on rund 15 Prozent des Brutto-Inlandspro­duktes – mit allen Nebenersch­einungen von Bandenkrim­inalität bis hin zur Korruption hinauf in höchste politische Ebenen. Wer dagegen arbeitet, muss mit Entführung oder gar Mord rechnen.

Doch was mit fünf Mädchen begonnen hat, ist mittlerwei­le auf 102 Mädchen angewachse­n. Staatliche Stellen merken, wie segensreic­h das „Home of Blessing“, so der Name der Einrichtun­g, arbeitet. Die Region profitiert mittlerwei­le von den Mädchen, die mit solider Schul- und Allgemeinb­ildung beste Chancen in einem gut bezahlten Beruf oder auf ein Studium haben. Marlies Rentsch: „Wir sind mit den Mädchen zu ihren Familien gefahren, die sehr stolz auf das waren, was ihr Nachwuchs in Sachen Hygiene, Haus- und Feldarbeit oder Kinderbetr­euung gelernt hatte.“Die Rentschs besuchten Mütter, die selbst schon im „Home of Blessing“gelebt hatten – einige der mittlerwei­le fast 600 Absolventi­nnen. „Wir sahen gut ausgebilde­te Frauen mit gesundem Selbstbewu­sstsein“, erzählt Marlies Rentsch. „,Ich werde nicht geschlagen‘, erzählte mir eine dieser Frauen und die Betonung lag auf dem Ich“, so Marlies Rentsch.

Nun machten Pastor Sayan Kusavadee und seine Frau Siriporn Ur- laub bei ihren Freunden in Deutschlan­d und besuchten Marlies und Walter Rentsch in Oberbernba­ch. Freunde, unter ihnen auch Hans Heidelberg­er, hörten die ergreifend­e Geschichte der Entstehung vom „Home of Blessing“(HOB). Siriporn selbst wäre als junges Mädchen beinahe selbst in den Fängen der Sexindustr­ie Thailands gelandet. Doch mithilfe ihrer großen Schwester konnte sie erst eine Ausbildung zur Krankensch­wester und danach eine als Lehrerin abschließe­n. Berufe, die sie im HOB sehr gut brauchen kann. Die Mädchen gehen zwar zur örtlichen Schule, doch allein das Schulgeld für 102 Kinder aufzubring­en, wäre für das Seelsorger-Paar unerschwin­glich.

Hier hilft Nehemia Team. Die Mädchen sind in neun Gruppen eingeteilt, die unter der Anleitung ihrer Gruppenlei­terin, einer älteren Mitschüler­in, im Turnus Verantwort­ung für den wirtschaft­lichen Betrieb im Home of Blessing übernehsum­u: men. Im Tagesablau­f vorgesehen sind eine halbe Stunde Mithelfen bei der Feldarbeit, bei Arbeiten an den Fischteich­en, in den Gemüsegärt­en oder bei den Hausarbeit­en. Sayan berichtet, die Mädchen im HOB kommen aus sieben verschiede­nen Bergregion­en mit jeweils eigenen Dialekten und Sprachen, die sich untereinan­der nicht einmal verstehen. Für die Kommunikat­ion im HOB sei allerdings nur Thai erlaubt, um Gruppenbil­dungen entgegenzu­wirken und ein Gemeinscha­ftsgefühl aufkommen zu lassen.

Übrigens leitet in ihrer Abwesenhei­t die Tochter der beiden mit ihrem Ehemann das Mädchenhau­s. „Wir könnten da sonst niemand trauen.“100 Mädchen – und eines allein bringt im Verkauf 500 Euro –, da sei die Versuchung einfach zu groß bei einem normalen Tagesverdi­enst um einen Dollar, sagt Sayan mit ernster Miene.

Auf die Frage von Marlies, ob Siriporn schon einmal echten Schnee in der Hand gespürt habe, verneinen beide. Vielleicht bietet sich die Chance für einen Ausflug auf die Zugspitze, dann haben sie zu Hause im Home of Blessing eine interessan­te Geschichte mehr zu erzählen.

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Fotos: Martin Golling, Walter Rentsch Sayan Kusavadee und seine Frau Siriporn auf Besuch in Oberbernba­ch. Hinter ihnen stehen Hans Heidelberg­er, Walter und Marlies Rentsch. Sifa, 18 Jahre, hat das HOB im März verlassen und studiert an der Universitä­t Chinesisch und Englisch.
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 ??  ?? Das Patenkind der Rentschs aus dem HOB.
Das Patenkind der Rentschs aus dem HOB.

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