In den verbliebenen Kreißsälen geht es rund
Während das Augsburger Josefinum einen Halbjahresrekord bei den Geburten meldet, machen in den Kleinstädten die Entbindungsstationen dicht. Und eine Ministerin erklärt, warum der Freistaat zuschaut
Region Augsburg Die Blitzgeburt im Krankenwagen machte Anfang des Jahres Schlagzeilen. Auf dem Weg ins Augsburger Josefinum hatte es die kleine Angelin aus Meitingen auf einmal sehr eilig und erblickte irgendwo zwischen Stettenhofen und der Autobahnauffahrt bei Gersthofen das Licht der Welt. Der kleine Otto aus Petersdorf kam Anfang Juli unter Obhut von Sanitätern der Johanniter in Augsburg auf dem Rücksitz des Familienautos auf die Welt. Hochschwangere, die – schon in den Wehen liegend – mit Blaulicht quer durch die Region geschafft werden: Diese Situation könnte künftig öfter eintreten. Denn während Geburtsstationen im Augsburger Umland zumindest vorübergehend dichtmachen müssen, werden wieder mehr Kinder geboren. Und an der größten Geburtsklinik weit und breit sind die Folgen dieser Entwicklung schon zu spüren. Josefinum-Sprecher Winfried Karg stellt fest: „Wir sehen einen Umverteilungsprozess in der Region.“Schwangere Frauen weichen auf andere Kliniken aus und dort würden die Zahlen steigen. Das Josefinum verzeichnete in den ersten sechs Monaten 2018 so viele Geburten wie noch in einem ersten Halbjahr in der Geschichte des Hauses – nämlich 1678.
Auch am Augsburger Klinikum geht es in den Kreißsälen rund. Dort geht man von einer Steigerung der Zahlen von bis zu fünf Prozent aus. Vergangenes Jahr kamen hier 2444 Babys zur Welt. Die Folgen der Schließungen von Geburtsstationen im Umland bereite dem Klinikum aber „nicht so große Sorgen“, sagt Sprecherin Ines Lehmann. Das Klinikum sei bei Schwangeren aus dem Umland vor allem Anlaufstelle für problematische Schwangerschaften und Geburten. In den anderen Fällen würden eher Mütter in Geburtsstationen in ihrer Nähe entbinden.
Falls es diese gibt. Die Geburtenstation am Aichacher Krankenhaus ist seit Mittwoch geschlossen und macht erst im September wieder auf. Vorausgesetzt, bis dahin stehen wieder genügend Hebammen zur Verfügung. In Schwabmünchen ist bereits seit Mai zu. Die Geburtshilfen in Schrobenhausen und Wertingen haben schon länger die Segel gestrichen. Die Ursachen sind überall ähnlich: fehlende Ausbildungsplätze, hohe Haftpflichtprämien, Bezahlung, Arbeitsbedingungen.
Für die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr aus Stadtbergen ist die Staatsregierung „für solch eine Misere verantwortlich“. Bereits vor drei Wochen habe sie die zuständige Ministerin Melanie Huml (CSU) aufgefordert, die Lage der ländlichen Kliniken zu verbessern. Deren Antwort sei gewesen: „Wir bitten um Geduld. “
Das ist nach Strohmayrs Ansicht für die betroffenen Frauen „Hohn und Spott“. „Ich hoffe nur, dass sie es rechtzeitig schaffen, in andere Kliniken zu gelangen.“Wenig Erfolg hatten auch CSU-Mitglieder, die unter der Woche Huml bei einem Auftritt in Graben (Kreis Augsburg) fragten, warum der Freistaat die Geburtshilfe der Wertachkliniken mit ihren Häusern in Schwabmünchen und Bobingen nicht finanziell fördern wolle. Sie kassierten eine Absage. Es gebe eine Grenze, erklärte Huml. Und die sei sinnvoll, weil man so die erreiche, die den größten Bedarf abdecken.
Zwei Kriterien muss eine Klinik erfüllen, um in ein neues Förderprogramm zu kommen, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Sie muss mehr als 300 Geburten pro Jahr nachweisen – und zugleich 50 Prozent der Geburten im Landkreis betreuen. Mit einem Anteil von rund 40 Prozent im Landkreis Augsburg, wo jedes Jahr an die 2200 Kinder zur Welt kommen, verfehlen die Wertachkliniken diesen Anteil. Grund: Sie decken hauptsächlich den Süden des drittgrößten bayerischen Landkreises, während die Menschen aus der Mitte und dem Norden des Kreises nicht zuletzt die Augsburger Häuser bevorzugen. Versuche von Politikern aus dem Landkreis, München angesichts dieser Ausnahmesituation zu einer Ausnahmeregelung zu bewegen, sind bislang offenbar gescheitert. Und auch für Aichach sieht es schlecht aus. Mit etwas mehr als 300 Geburten verfehlt es die 40 ProzentMarke. Das Haus in Friedberg darf dagegen mit Zuschüssen rechnen. Wobei Aichach-Friedberges Landrat Klaus Metzger (CSU) sagt: „Geld allein macht nicht glücklich. Damit können wir uns auch keine Hebammen schnitzen.“
Auch das Josefinum ist „ständig auch der Suche nach Hebammen“, so Krankenhaus-Sprecher Karg. Zusätzlich versuche das Haus, seine Abläufe zu verbessern, damit gesunde Mütter und Kinder früher nach Hause können. Was dem kirchlichen Krankenhaus außerdem hilft: Als dessen Modernisierung vor zehn Jahren geplant wurde, lagen die Geburtenzahlen deutlich niedriger als heute. Der Freistaat bezuschusste deshalb nur den Bau von vier Kreißsälen, einen fünften bezahlte der Krankenhausträger KJF aus eigener Tasche. Karg: „Zum Glück, wie sich heute zeigt.“