Schauen Sie hinter die Kulissen der Pixar-Studios!
Film Hier ruhen die Entwürfe zu weltweiten Animationserfolgen wie „Toy Story“, „Cars“oder „Die Unglaublichen“: Ein Besuch im Archiv der Pixar-Studios in Kalifornien
Emeryville Der Blick in diese Welt lässt sich nicht als touristische Attraktion buchen. Wer von San Francisco über die Oakland Bay Bridge nach Emeryville fährt, braucht eine Einladung, um Zutritt zu den legendären Pixar Animation Studios zu erhalten. Doch selbst dann bekommt man nicht alles zu sehen. Wohl erblickt man das eindrucksvolle Hauptgebäude, in dem im ersten Stock hunderte Animatoren, Techniker und Filmemacher ihre Büros haben. Man sieht den Frühstücksraum, in dem die Mitarbeiter kostenlos Dutzende Sorten Cerealien und eine fast ebenso große Milchauswahl vorfinden. Außerdem natürlich den Souvenir-Shop und ein technisch erstklassiges Kino. Mit etwas Glück kann man sogar einen Blick auf den Pool oder das Basketballfeld werfen, die allen Angestellten vor, nach und auch während der Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Nur Christine Freeman wird man nicht antreffen.
Freeman, eine ebenso enthusiastische wie resolute Frau mit silbergrauem Kurzhaarschnitt, ist, wie sie selbst sagt, „Pixar-Historikerin“und leitet das Archiv des 1986 gegründeten und auf Animationsfilme spezialisierten Unternehmens. Wie hoch man bei der Firma den Wert des eigenen Fundus einschätzt, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass Freeman gemeinhin nur Pixar-Mitarbeiter in ihre heiligen Hallen lässt. Dafür spricht auch die Tatsache, man sich als Gast schriftlich verpflichten muss, den Standort des Archivs nicht preiszugeben. Die große, aber unscheinbare Lagerhalle, an der sich von außen nicht einmal ein Hinweis auf Pixar finden lässt, liegt abseits der eigentlichen Studios, immerhin in Gehweite. Überhaupt wird Sicherheit hier großgeschrieben. Vor dem Eingang liegen klebrige Matten, die verhindern sollen, dass Staub und Dreck hereingetragen werden. Das Schreiben mit etwas anderem als Bleistift ist wegen Fleckengefahr verboten, alle Räume sind temperaturreguliert. Und Freeman trägt natürlich bei der Arbeit meistens weiße Handschuhe.
„Das Archiv hat die Aufgabe, alles, was in der Design-Phase unserer Filme in den Abteilungen für Art und Story entsteht, zu sammeln, zu organisieren, zu konservieren und zugänglich zu machen“, referiert sie über ihre Abteilung, die vor rund 20 Jahren gegründet wurde und seit 2016 in diesem neuen hochmodernen Gebäude residiert. „Außerdem tragen wir sämtliche Dokumente dieser Abteilungen zusammen, anhand derer man Veränderungen und Entscheidungen nachvollziehen kann, die hinsichtlich der Entwürfe der Figuren und ihrer Lebenswelten während der Entstehung der Filme gemacht wurden.“
In hydraulisch bewegbaren Regalen finden sich Kisten über Kisten und Schubladen über Schubladen, sortiert nach Filmtiteln – von „Toy Story“bis „Coco“. In ihnen lagern, selbstverständlich gut gepolstert, Skulpturen und Modelle sämtlicher Pixarfiguren, die den Animatoren als Vorlage und Experimentierfeld dienten, bevor sie im Computer animiert wurden. Dazu Zeichnungen, Malereien und Collagen, auch Verworfenes wie etwa Edna Mode aus „Die Unglaublichen“mit weißer Lockenpracht statt schwarzem Pagenschnitt. Aber auch Materialien zur Geschichte der Firma, etwa Presseberichte oder sämtliche Auszeichnungen und Preise, die nicht – wie die Oscars – im Foyer des Hauptgebäudes ausgestellt sind.
Für bewegte Bilder und die technische Seite des Filmemachens ist man im Archiv nicht zuständig, doch natürlich gibt es im Haus auch eine digitale Sammlung. Was nicht zuletzt bei Dokumenten aus den 1990er Jahren bisweilen Schwierigkeiten mit sich bringt: „Bis wir eine Formatierung gefunden haben, mit der sich die Text- und Bilddateien des ersten ‚Toy Story’-Films an heutigen Rechnern öffnen ließen, hat es jedenfalls gedauert.“
In ein paar Vitrinen ist Kurioses ausgestellt. Etwa Animations-Software, die Pixar in den ersten Jahren mehr schlecht als recht verkaufte, oder auch ein Schmierzettel, auf dem verschiedene Titel-Ideen für „Toy Story“festgehalten sind („Toyz ’n the Hood“, „Plastic Buddass dies“). Christine Freeman ist stolz darauf, mit ihrem Team erheblichen Anteil an Ausstellungen wie „Pixar – 20 Years of Animation“zu haben, die sogar im New Yorker MoMa zu sehen war. Doch der eigentliche Zweck des Archivs ist ein anderer: Hier sollen die Mitarbeiter der Firma Inspiration und Vergleichsmaterial für ihre Arbeit finden. Wer eine Idee hat und wissen möchte, ob Ähnliches schon einmal versucht wurde, wird hier ebenso fündig wie jemand, der zum ersten Mal einen Hund animieren muss und recherchieren möchte, was die Kollegen dazu bereits geleistet haben.
Als vor einigen Jahren die Arbeit an „Die Unglaublichen 2“begann, der jetzt in den deutschen Kinos angelaufen ist, kam das gesamte Design-Team bei Freeman vorbei, um sich genau anzusehen, wie die Superhelden-Familie 14 Jahre zuvor beim ersten Teil entworfen worden war. Eine gewaltige Arbeitserleichterung für die Filmemacher, die in vielen Punkten also nicht bei Null anfangen mussten.
Manchem Pixar-Mitarbeiter ist die Arbeit der Archivare allerdings nicht geheuer. „Einigen von ihnen ist es fast peinlich, wie gewissenhaft ich darauf poche, dass jede einzelne ihrer Skizzen bei uns abgegeben wird“, lacht Christine Freeman. „Denn sie haben nicht immer den gleichen Blick auf ihre Kritzeleien oder ihre manchmal auch unbrauchbaren Ideen wie wir. Für sie ist das tägliche Arbeit. Aber für uns ist es Kunst!“
Mal schauen, was Kollegen schon geleistet haben