Porträt Über Umwege zur Mode-Königin
Nach dem Mord an ihrem Bruder kämpfte Donatella Versace mit Depressionen und Drogen. Jetzt ist sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere – und verkauft das Label
Anfang des Jahres fragte das Magazin Vogue Donatella Versace, wie sie ihre Tage verbringen würde, wäre sie nicht Chefin eines der bekanntesten Modehäuser der Welt. Versace lächelte mild, und sagte dann leicht lispelnd: „Wahrscheinlich hätte ich einen Nervenzusammenbruch.“Man könnte das als Koketterie abtun, und doch steckt viel Wahrheit in diesem Satz. Lange hat die 63-jährige Chefdesignerin des italienischen Edel-Modehauses Versace gegen Depressionen gekämpft, nahm Drogen, um den Schmerz über den Tod ihres Bruders Gianni zu ertragen.
Als das Label dem Bankrott nahe war, ging Versace in eine Entzugsklinik. Danach führte sie das Modehaus wieder zum Erfolg. Jetzt wechselt Versace den Besitzer: Die Modegruppe Michael Kors übernimmt den Konzern für 1,8 Milliarden Dollar. Donatella Versace bleibt als Chefdesignerin an Bord.
Dass die zierliche Frau mit den wasserstoffblonden Haaren einmal das unumstrittene Gesicht von Versace sein würde, war längst nicht immer klar. Als Gianni Versace im Juli 1997 in Miami erschossen wurde, musste seine Schwester von einem
Tag auf den anderen die Führung des Modehauses übernehmen. Acht Jahre zuvor war sie nach Mailand gekommen, arbeitete als Designerin neben dem überlebensgroßen Bruder. Später, in ihren ersten Jahren als Chefdesignerin, wurden ihre Kollektionen verlacht. Kritiker lästerten über „Luxus-Trash“und über die Frau dahinter, die längst selbst zur Kunstfigur geworden war. Nach ihrem Aufenthalt in der Entzugsklinik drehte sich das öffentliche Bild. Stars trugen plötzlich wieder Versace, Lady Gaga widmete ihr den Song „Donatella“. Im vergangenen Jahr machte das Haus erstmals wieder Gewinn, die Branche erklärte 2017 gar zum „Versace-Jahr“. Zum 20. Todestag ihres Bruders organisierte Donatella Versace eine fulminante Show. Claudia Schiffer, Cindy Crawford, Naomi Campbell, Helena Christensen und Carla Bruni liefen über den Laufsteg – so wie sie es im Jahr 1991 schon für Gianni Versace getan hatten. Am Ende lagen sie sich in den Armen, fünf Supermodels, groß und in goldenen Roben, dazwischen die kleine, fast zerbrechliche Donatella Versace. „Das ist für dich, Gianni“, hauchte eine Donatella-Stimme vom Band.
Trotz des neuen Erfolgs gehen aber auch an Versace die Entwicklungen in der Branche nicht vorbei. Die meisten Luxuslabels gehören heute zu großen Konzernen wie LMVH. Versace war eine der wenigen Edel-Marken in Italien, die bislang noch im Besitz der Gründerfamilie war. Nun soll Michael Kors das nötige Geld beisteuern. Angst, die Kontrolle über das Label zu verlieren, habe sie nicht, sagte Versace der italienischen Zeitung La Repubblica. Sie sei kein Kontrollfreak. „Das Leben hat mir zu verstehen gegeben, dass du nicht zurückblicken darfst, sondern nur nach vorne gehen kannst.“