Flüstern mit Beethoven
Festival der Nationen Zum Auftakt stellte Rudolf Buchbinder dem vbw-Jugendorchester seine lebenslange pianistische Erfahrung zur Verfügung. Da galt: ablauschen und lernen
Bad Wörishofen Es kam anders als gedacht zum Auftakt des „Festivals der Nationen“, aber sicher nicht schlechter. In der „Festival- und Bildungsmetropole“(Bürgermeister Paul Gruschka) trat nicht die erkrankte Hélène Grimaud auf, sondern andere unter den „kundigen Kräften aus dem Fach Klavier“(Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer): Rudolf Buchbinder, Beethoven-Spezialist mit großem Alterskarriereschub (und tags darauf im selben reinen BeethovenProgramm Igor Levit, dieser jungreife Koryphäen-Pianist). Jeder für sich eine sichere Bank – und „kundige Kraft“.
Aber darum geht es nicht allein, wenn das vbw-Orchester des Festivals annonciert ist: Dann geht es auch darum, dass Nachwuchsmusiker in Probenarbeit und Aufführung die Kunst professioneller Solisten erleben, ablauschen und lernen. Und wichtiger noch: mit dieser Kunst in Dialog treten. Genau das ist die Herausforderung für die Jugend: Wie reagiere ich zehntelsekundengenau auf die musikalische des Solisten, wie finde ich zu Gleichklang in Intonation und Tempo, wie bereite ich etwas vor für ihn oder spinne sein Spiel fort?
Das sind die Lernprozesse für junge Instrumentalisten – mitsamt dem Blick in das Nähkästchen großer Interpreten, die Schweres leicht auszuführen und ihre gedankliche Vorarbeit dem Hörer suggestiv nahezulegen haben. So viel zum wichtigen, schützenswerten, förderungswürdigen Sinn des Festivals. Dass Theorie und Praxis dann nicht in jedem Moment deckungsgleich werden (können), steht auf anderem Blatt, dieses Jahr etwa bedingt durch die Absage Grimauds. Reichen musste eine Durchspielprobe für das vbw-Orchester und Buchbinder beziehungsweise Levit.
Und doch war die Probe mit Buchbinder konstruktiv und hielt den Nachwuchs hörbar zu Anstrengung an: In Beethovens viertem Klavierkonzert, das insofern epochal ist, als hier erstmals der Pianist und nicht das Orchester den ersten Satz eröffnet (ein beliebtes Hochschulprüfungsthema in Sachen Musikgeschichte), gelang in den Ablösungen zwischen Solisten und En- semble vieles feinsinniger, sensibler, ja ästhetischer als zuvor bei der „Egmont“-Ouvertüre unter der Jugend allein: Gewiss, es waren da schöne Stellen zu vernehmen gewesen, aber auch, wie schwierig es ist, einen Ton aus dem Nichts zu holen, sich frei zu spielen, gemeinschaftlich zu atmen, zu federn, zu singen.
Genau das klappte im Zusammenspiel mit Buchbinder besser. Die Autorität an der Spitze, dazu Christoph Adt als vermittelnder Dirigent, auch häufiger Blickkontakt zwischen Solisten und einzelnen Stimmgruppen waren die Voraussetzungen dafür, dass nun in höherem Maße Behutsamkeit, horchendes Aufeinandereingehen gepflegt wurde – was Beethoven dann an entscheidenden Stellen kostbar machte. Und Buchbinder nahm sich zurück, stellte seinen Part in den Dienst der pädagogischen Idee des Projekts – und spielte doch wunderbar transparent, perlend, glockentonhaft, schwebend –, wie er es auch im Wiener Musikverein tun würde oder im Münchner Herkulessaal.
Die Passagen, bei denen man attestieren konnte, dass das Orchesterklassenziel nahezu perfekt erRhetorik reicht wurde, waren jene, da das Ensemble und Buchbinder gemeinsam flüsternd die Musik anbeteten. Höherer Zweck erfüllt. Innige Kunst dabei herausgesprungen.
Dann ging es mit Beethoven anderweitig zur Sache. Seine dritte Sinfonie mit ihrem nicht ungefährlichen Pathos schütteln auch renommierte Orchester nicht aus dem Handgelenk, leiten auch berühmte Dirigenten nicht nur mit links. Christoph Adt auf dem Pult wählte gemäßigte Tempi, schlug deutlich die schweren Taktteile, hielt sich gebotenerweise zurück mit RubatoFreiheiten. Zum Kulminationspunkt der Durchführung sowie zum Finale des ersten Satzes rockten die Musiker das Kurhaus, im zweiten entstand durchaus tragische Tiefe, im dritten lugte schon der „Freischütz“ins Hornquartett hinein (wobei der zweite Blick ungetrübt blieb), der vierte demonstrierte Spiellust. Insgesamt galt für diese „Erioca“: Hier entstand Qualität durch Vorsicht und Wille zur Akkuratesse; feuriges Draufgängertum, möglich bei Beethoven, blieb weitgehend außen vor. Schlacht unter großem Applaus gewonnen.