Wo Grüne und AfD die meisten Wähler haben
Es sind zwei Welten in einer Stadt: Während sich im Norden von Oberhausen viele Bewohner abgehängt fühlen, herrscht im Lechviertel eine gediegene Altstadt-Idylle. Eine Spurensuche zwischen zwei Extremen
Sie sitzen draußen bei einem Kaffee oder einem Bier. Es riecht nach Abgasen, auf der Donauwörther Straße staut sich der Verkehr. „Diesel ist super“hat die AfD plakatiert. Es ist einer der Wahlsprüche, die bei vielen Menschen hier, im Stadtbezirk Oberhausen-Nord, gut angekommen sind. 23,7 Prozent haben hier die Alternative für Deutschland gewählt. Das ist der Rekordwert für Augsburg. Nirgendwo in der Stadt hat die Partei besser abgeschnitten.
Im Bistro „Bel Vars“an der Donauwörther Straße kennen sie den AfD-Mann, der von vielen Plakaten lächelt. „Der Markus, der war hier“, sagt Ayhan Korkmaz, der Wirt. Markus Bayerbach, Stadtrat und künftiger Landtagsabgeordneter, hat in Oberhausen Straßenwahlkampf gemacht. Auch das „Bel Vars“hat Bayerbach besucht.
Ayhan Korkmaz ist in Deutschland geboren, hat aber die türkische Staatsbürgerschaft. Bei der Landtagswahl durfte er nicht mitstimmen. Könnte er wählen, sein Kreuz würde er nicht bei der AfD machen. Aber über Markus Bayerbach will er nichts Schlechtes sagen. Er war der einzige Kandidat, der in dem Lokal vorbeischaute. Korkmaz sagt: „Er war freundlich, man konnte sich mit ihm gut unterhalten.“So halte er das in seinem Lokal, sagt der Wirt. Man rede miteinander und akzeptiere verschiedene Meinungen.
Warum die AfD ausgerechnet im Norden von Oberhausen so gut abgeschnitten hat? „Schauen Sie sich doch um“, sagt Christoph Pysklak, ein Gast im Bel Vars. „Dann sehen sie die Antwort.“Der Migrantenanteil ist hoch im Viertel. Gut 37 Prozent der Bewohner sind Ausländer, etwa 32 Prozent haben einen Migrationshintergrund. „Biodeutsche“, wie man Deutsche ohne ausländische Wurzeln in rechten Kreisen gern nennt, stellen mit 30 Prozent den kleinsten Anteil. Dazu kommen die Asylbewerber, die hier leben. Manche haben das Gefühl, für die Flüchtlinge werde zu viel Geld ausgegeben. Und es gibt Frust. Christoph Pysklak erzählt vom Besitzer einer Eigentumswohnung nahe der Donauwörther Straße, dessen Wohnung jetzt deutlich weniger wert sei – weil direkt nebenan Container für
Flüchtlinge aufgebaut worden sind. Gefragt habe vorher keiner.
Pysklak stammt aus Schlesien. In den 1980er Jahren, mit Anfang 20, kam er nach Deutschland. Er ist ein treuer Anhänger der CSU. Immer hat er sie gewählt, auch jetzt wieder. Dass die Union rund zehn Prozent verloren hat, hat ihn erschreckt. Dem zweistelligen Ergebnis der AfD kann er allerdings auch Positives abgewinnen: „Vielleicht führt das dazu, dass man die Sorgen der Bürger wieder mehr ernst nimmt.“
Im Lechviertel, dem beschaulichen Teil der Innenstadt, schlendern Passanten gemütlich durch die Gassen. Hier gibt es kleine individuelle Geschäfte, die an den Kanälen liegen. Die Sonne scheint auf das Pflaster und die vielen renovierten Hausfassaden. Wie „sein“Lechviertel bei der Landtagswahl abge-
stimmt hat, darauf war Thomas Aigner am Montagmorgen gespannt. Doch als der Inhaber der Hirschleder-Gerberei am Vorderen Lech in seinen Briefkasten schaute, war die Zeitung weg. „Da hatte sich wohl schon ein anderer für die Ergebnisse interessiert“, meint er sarkastisch. Aigner kaufte sich eine neue Zeitung. Das Ergebnis überraschte ihn dann aber nicht. 39,9 Prozent der Bewohner aus dem Lechviertel und dem östlichen Ulrichsviertel wählten die Grünen.
„Das ist im Lechviertel so“, sagt Aigner. „Hier in der Altstadt wohnen die gut situierten Leute, die es sich leisten können, grün zu wählen. Das sieht man schon daran, dass sich im Lechviertel ein kleiner Bio-Laden über Jahre halten kann.“Er meine das völlig wertneutral, fügt der Geschäftsmann hinzu. Aber er
habe hier über die vielen Jahre einen immensen Wandel erlebt. Der 58-Jährige ist im Lechviertel großgeworden. „Als ich ein Kind war, war das damals ein türkisches Scherbenviertel.“
Aigner erinnert sich an die Zeiten vor der Altstadtsanierung in den 1990er Jahren. „Man konnte noch Häuser für unter 10000 Mark kaufen. Inzwischen ist die Altstadt eines der teuren Viertel. Jedes zweite Haus ist verkauft. Pro Quadratmeter werden bis zu 6000 Euro gezahlt.“Jetzt wohne hier die „bürgerliche, urbane Schickeria“, wie er es nennt. „Soziologen, Lehrer, Rechtsanwälte, Künstler – aber einen MAN-Arbeiter finden Sie hier nicht mehr.“
Ulli Weißbeck betreibt seit den 1980er Jahren „Die Töpferei“in der Weißen Gasse und wohnt selbst in dem Haus über dem Geschäft. Im Lechviertel gebe es nur noch wenige Alteingesessene, sagt die 53-Jährige. Längst wohnten in der idyllischen Altstadt viele gut situierte Leute. Das zeigen auch die Zahlen. Die Zahl der Arbeitslosen ist hier sehr niedrig, es gibt wenige Hartz-IVEmpfänger. Der Ausländeranteil wiederum liegt weit unter dem Augsburger Durchschnitt. Bei Studenten ist das Viertel sehr beliebt.
Ulli Weißbeck ist in keinster Weise überrascht, dass die Grünen so gut abgeschnitten haben. „Das ist genau die Klientel, die in der Altstadt lebt. Hier wohnen mittlerweile viele, die viel Geld haben. Auch junge Familien mit wohlhabende Eltern, die sie unterstützen“, hat die Geschäftsfrau beobachtet. Etliche einstige Altstadtbewohner seien aus dem Lechviertel durch teure Mieten gedrängt worden. Sie findet die Entwicklung bedenklich, dass alles nur maximal profitorientiert saniert werde und es zunehmend an bezahlbarem Wohnraum mangle.
In Oberhausen-Nord kann man sich Wohnraum noch besser leisten. Doch viele Menschen hier, sagt Dieter Benkard, fühlten sich abgehängt.
Der AfD-Kandidat schaute in dem Lokal vorbei
Das Wohnen in der Altstadt wird zunehmend teurer
Benkard engagiert sich seit Jahrzehnten für die SPD, er sitzt für die Sozialdemokraten im Stadtrat. Die Menschen seien wütend. Er spüre das jeden Tag, wenn er draußen unterwegs ist. Noch vor fünf Jahren war Oberhausen-Nord bei der Landtagswahl eine SPD-Hochburg mit 28,5 Prozent der Zweitstimmen. Am Sonntag waren es nur noch rund zehn Prozent. Das Flüchtlingsthema sei es gewesen, glaubt Benkard. Viele hätten ihm gesagt: Wir haben immer SPD gewählt, aber jetzt reicht es, jetzt wählen wir eine Protestpartei. Der gebürtige Oberhauser sieht noch eine Augsburger Besonderheit – den Verkehr. Sein Viertel, sagt Benkard, ersticke im Verkehr. Die Stadt tue da zu wenig.
Dass die AfD nun dauerhaft so stark bleibt, sei aber noch nicht ausgemacht, glaubt Benkard. Schon einmal habe er den Aufschwung einer rechten Partei erlebt. In den 1990er Jahren hätten viele Menschen in Oberhausen die Republikaner gewählt. Als man die Sorgen der Menschen ernst genommen und Probleme angepackt habe, sei die Partei wieder verschwunden, sagt er. „Es muss jetzt was passieren.“