Was am Ende bleibt
Tod Erdbestattungen gehen zurück, Feuerbestattungen nehmen zu. Am begehrtesten sind Ruhestätten unter Bäumen. Weil sie pflegeleicht sind und kostengünstig. Doch was sagt der Wandel der Bestattungskultur über unsere Gesellschaft? Und brauchen Friedhöfe kos
Was tun, wenn Gott gar nicht mehr vorkommt?
Tote Fußball-Fans sollen die Torschreie hören können
Machen Sie selbst den Test. Schließen Sie kurz die Augen: Jetzt stellen Sie sich einen Friedhof vor – und einen Friedwald. „Der Friedhof hat ein Problem“, sagt Reiner Sörries. „Es ist ein Ort, der mit Trauer verbunden wird. Mit schwarz gekleideten Menschen. Mit Gräbern.“Der Friedwald dagegen wecke positive Assoziationen. Bäume. Grün. Himmel. Natur. Professor Sörries macht diesen Test gerne vor seinen Vorträgen. Über Jahre leitete er das Sepulkralmuseum in Kassel, ist also Experte für Bestattungskultur. Und dass sich unsere Bestattungskultur wandelt, sieht jeder, der über Friedhöfe spaziert.
Die leeren Flächen stechen ins Auge. Aufgelassene Gräber. Immer mehr. Ob auf dem großen Westfriedhof in Augsburg oder auf dem viel kleineren im Stadtteil Inningen. Doch es gibt sie noch. Die liebevoll gepflegten Gräber. Die individuell geschmückten. Arthur Krohmer zündet eine Kerze am Grab seiner Mutter an. Seine Frau Nadja ist dabei. Das Grab ist beiden wichtig. Der 31-Jährige und seine Frau sind froh, dass sich Arthur Krohmers Vater darum kümmert. Schöne Blumen sind gepflanzt. Unter Blüten und Blättern verbergen sich kleine Herzen. Wichtelfiguren halten Wache. Und Engel, große und kleine. Jeder kann sehen: Hier wird eines geliebten Menschen gedacht, einem unvergessenen. „Für immer bleibt, was einmal war“steht passend auf dem Grabstein.
Die Vergänglichkeit steht dagegen im Mittelpunkt einer neuen Urnengemeinschaftsanlage am Augsburger Westfriedhof. Formschön das Ensemble mit grauen Steinen, dessen Mittelpunkt ein kleines Wasserrondell bildet. „Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind. Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser“steht um das Bassin, auf dem ein einzelnes Blatt schwimmt. Eine Grabplatte trägt den Namen einer Frau und ihre Lebensdaten. Ein Rosenstrauß wurde abgelegt. Eine Kerze steht daneben. Mehr Platz gibt es nicht.
Mehr Platz wollen aber viele für ihre letzte Ruhestätte auch nicht mehr, erzählt Helmut Riedl. Er ist der Abteilungsleiter für den Bereich Friedhofswesen der Stadt Augsburg. Ein wichtiger Punkt ist seiner Einschätzung nach das Geld. Es werde gespart. Auch am Ende. Und je nach Größe und Lage koste ein Erdgrab im Schnitt 72 Euro im Jahr. „Da haben sie aber noch keinen Grabstein, keine Lampe, keine Bepflanzung“, erklärt Riedl und ergänzt, dass es einen klaren Trend gibt: Baumbestattungen. Die Friedhofsverwaltung käme gar nicht nach mit dem Pflanzen von Bäumen, so groß sei die Nachfrage. Ein Baumgrab koste im Jahr etwa 130 Euro. Dafür fallen Kosten für Pflege und Grabstein erst gar nicht an. Wer durch den Westfriedhof läuft, entdeckt sie schnell. Die vielen kleinen Steinplatten unter Bäumen. Manche ein wenig dekoriert. Mit einer Kerze. Mit einem Blumenstrauß. Viele sind schmucklos.
Allein der Baum, sein Wuchs, die Zeichnung der Rinde, seine Krone, seine Färbung ist Schmuck im Friedwald. Die Bestattungen dort werden immer beliebter. Wer den wunderbaren, weitläufigen Wald am Schwanberg in Unterfranken durchstreift, erlebt in der Tat eine außergewöhnliche Atmosphäre. Eine Oase zum Rückzug. Einen spirituellen Ort. Es ist einer von vier Standorten der Friedwald GmbH in Bayern. Aber ein besonderer. Denn er gehört zu den wenigen in ganz Deutschland, die in kirchlicher Hand sind. Die evangelischen Schwestern der Communität Casteller Ring betreuen ihn oben auf dem Berg, wo ansonsten nur ihr geistliches Zentrum ist. Drei Frauen spazieren auf einem der breiteren Waldwege. Sie plaudern, lachen. Plötzlich bleibt eine der drei stehen. Auf einer Tafel ist ein Plan des Friedwalds. Sie müsse sich kurz orientieren, sagt sie zu ihren Begleiterinnen. Schließlich will sie ihnen ihren Baum zeigen. Der Baum, unter dem sie einmal bestattet werden will. Sie sieht weder alt noch krank aus. Wieso hat sie sich schon für einen Baum für ihre Bestattung entschieden? „Weil viele schon verkauft sind. Da muss man sich beeilen“, sagt sie, lächelt und spaziert mit den beiden anderen weiter.
Sarah Tabola bestätigt die große Nachfrage. Aktuell sind nach Angaben der Pressesprecherin der Friedwald GmbH von den über 1900 ausgewiesenen Bestattungsbäumen allein auf dem Schwanberg schon weit mehr als 1600 Bäume verkauft. Wer sich für eine biologisch abbaubare Urne unter einem Gemeinschaftsbaum entscheidet, müsse je nach Stärke, Art und Lage des Baumes mit Preisen zwischen 770 und 1200 Euro rechnen. Die Ruhezeit betrage ab Eröffnung des Waldes 99 Jahre.
Doch schafft es der Partner im hohen Alter überhaupt noch zu dem Baum im Friedwald, wo vielleicht die geliebte Frau liegt? Kann er den Baum an Weihnachten bei Schnee und Eis erreichen? Mit Rollator? Solche Fragen stellt Ulrich Müller. Der katholische Pfarrer läuft auf dem Friedhof in Inningen auf das große Kreuz zu. Die dichten Blätter lassen es an diesem sonnigen Nachmittag feuerrot erglühen. Müller weiß, dass die Gräber um das Kreuz weniger werden. Friedwälder sieht er aber kritisch. Seiner Ansicht nach verbannen sie Verstorbene zu stark aus dem Lebensraum der Lebenden.
Und glauben Menschen, die sich im Friedwald bestatten lassen, an eine christliche Auferstehung? Handeln Sie nicht eher aus naturreligiösen Motiven? Aus kirchlicher Sicht ist eine Bestattung im Friedwald nur möglich, wenn die Grabstätte dauerhaft mit Namen und einem christlichen Symbol gekennzeichnet ist, betont Müller, der Liturgiereferent im Bistum Augsburg ist.
Überhaupt hat die Kirche Vorbehalte gegenüber der Urnenbestattung, betont der Pfarrer. Lange wurde sie von der Kirche abgelehnt. Erst 1963 wurde das Verbot aufgehoben. Schließlich wurde der Leichnam Jesu in einem Grab bestattet. Die Kirche ehre daher den Leib eines Toten und möchte mit der Erdbestattung deutlich machen, dass der Leib zum Menschsein gehört.
Doch am Zeitgeist kommt auch die Kirche nicht vorbei. Und die Urnenbestattung nimmt deutlich zu. „Die Urne ist nun mal mobil, wie die Gesellschaft auch“, bringt es Müller auf den Punkt. Auf hoher See, in den Weiten des Weltraums oder als glitzernder Diamant am Finger – die Verbrennung ermöglicht so gut wie jedes Gedenken.
Viele ältere Menschen entscheiden sich aber aus einem anderen Grund für eine Urne. Sie wollen auf keinen Fall ihren Angehörigen zur Last fallen, erzählt der Pfarrer. Im extremsten Fall wählten sie sogar eine anonyme Bestattung. Der Trend hin zur anonymen Bestattung bereitet Pfarrer Müller die größte Sorge. Denn damit verschwinde die Würde des Menschen völlig.
Und noch eine Tendenz macht der Geistliche aus: Bestattungen müssen individueller ablaufen. Gefragt werde nicht mehr, was üblich ist, sondern, was sich der Einzelne wünscht. So werde beispielsweise der Lieblingswein als Grabbeigabe dem Verstorbenen mitgegeben, Bilder des Verstorbenen an die Wand der Leichenhalle gebeamt und Luftballons steigen beim Absenken des Toten in den Himmel empor. Nun hat der 56-Jährige nichts gegen individuelle Trauerfeiern. Im Gegenteil. Aber es gebe Grenzen, sagt er.
Das kirchliche Begräbnis sei immer auch eine Feier, die die ganze Kirche angehe. Wenn aber bei der Bestattung Gott keine Rolle mehr spielt, wenn kein einziges Lied mehr gespielt wird, in dem der Glaube Thema ist, dann tut sich Pfarrer Müller schwer. Seelsorger würden wie Bestatter zu reinen Dienstleistern degradiert. Müller spricht von einer völligen „Ökonomisierung des Bestattungswesens“. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen sehen sich Hinterbliebene als Kunden, die rechnen und vergleichen.
Damit hat der evangelische Theologe Sörries kein Problem. Endlich sei Sterben und Tod nicht mehr am Rand unseres Lebens, sondern in dessen Mitte. Die Bestattungskultur bilde stets gesellschaftliche Entwicklungen ab. Und die Gesellschaft spalte sich zunehmend in arm und reich. Das könne man auch bei der Bestattungskultur beobachten: Während auf manchen Friedhöfen sogar wieder prunkvolle Mausoleen errichtet werden, erzählt Sörries, lassen sich die anderen schmucklos und so preiswert wie möglich einäschern. Positiv findet er, dass sich immer mehr Menschen Gedanken über ihre Bestattung machen. „Früher hat man das nur einfach so gemacht, weil man es so macht.“Die Sozialkontrolle schwinde aber.
Und Familienstrukturen lösen sich auf. An die Stelle der biologischen Familie tritt nach Ansicht von Sörries zunehmend die Wahlfamilie. Also die Menschen, mit denen ich mich im Leben verbunden fühle. So entstehen immer mehr Gemeinschaftsgräber. Begonnen habe die Entwicklung mit den Schicksalsgemeinschaften der an Aids Erkrankten. Heute bieten etwa Hospizvereine Gemeinschaftsgräber. Aber es gibt auch Fußball-Fan-Friedhöfe wie etwa der von Schalke 04, der in der Nähe der Gelsenkirchener Arena errichtet wurde, offensichtlich in der Hoffnung, dass die Toten die Torschreie hören können. „Normale Friedhöfe werden dagegen nicht mehr alle Menschen erreichen“, ist sich Sörries sicher. Dem entgegenwirken könne man, indem der Service verbessert wird, Besucher etwa einen Fahrdienst haben, ein Café. Auch digitaler müsse er werden. Im Extremfall bedeute dies, dass eine Drohne aufsteige, um entfernt wohnenden Verwandten ein Bild aufs Grab zu ermöglichen. „Und natürlich braucht jeder Friedhof kostenloses Wlan.“Damit etwa der Bruder der Schwester Bilder des Grabs von der Oma schnell übermitteln kann.
Riedl von der Stadt Augsburg ist für vieles offen. Auch für Veranstaltungen, für Konzerte, Filme – „aber es muss passen“. Schnell fühlten sich Menschen auf einem Friedhof gestört. „Der Friedhof muss in unser Leben mit einbezogen sein“, betont Sörries. Ein Ort des Lebens, der mindestens so positive Bilder hervorruft wie ein Friedwald.