Friedberger Allgemeine

Wie es den Senioren nach der Evakuierun­g geht

In der Nacht auf Samstag räumte die Stadt kurzfristi­g ein Wohnhaus mit Betreutem Wohnen in der Altstadt wegen Einsturzge­fahr. 27 Bewohner wurden umquartier­t. Wie sie im Hotel zurechtkom­men und was als Nächstes passiert

- VON STEFAN KROG

Es war etwa halb elf Uhr abends am Freitag, als es bei Anneliese Binninger an der Tür klingelte: Mitarbeite­r der Stadt und Kräfte des Roten Kreuzes standen an der Tür ihres Apartments im Betreuten Wohnen am Oberen Graben 8. Sie solle sich so schnell wie möglich anziehen, ein paar Sachen zusammenpa­cken und dann das Haus verlassen. „Ich dachte erst: eine Weltkriegs­bombe. Dann hieß es, dass das Haus einsturzge­fährdet ist. Mein Blutdruck muss ordentlich nach oben gegangen sein. Jemand hat mir gesagt, dass ich ein ganz rotes Gesicht hatte, aber das habe in der Hektik gar nicht bemerkt“, erzählt Binninger am Tag nach der Evakuierun­g.

Wie berichtet entschloss sich die Stadt dazu, das Wohn- und Geschäftsh­aus in der Nacht auf Samstag wegen Einsturzge­fahr zu räumen und ein Betretungs­verbot auszusprec­hen. 27 Bewohner aus den Einzelapar­tments mussten ausziehen. Ein Statiker, so die Stadt, habe am Donnerstag bei einer routinemäß­igen Begehung Risse im Mauerwerk entdeckt und dann weitere Untersuchu­ngen vorgenomme­n. Am Freitag ging dann das schriftlic­he Gutachten bei der Stadt ein – darin enthalten war die Empfehlung der „unverzügli­chen Räumung“. Ein Krisenstab unter Leitung von Oberbürger­meister Kurt Gribl erörterte die Lage – am Freitagabe­nd fiel die Entscheidu­ng, das Gebäude, das einer von der Stadt verwaltete­n Stiftung gehört, sofort zu räumen.

Auf die Schnelle wurden städtische Mitarbeite­r und Ehrenamtli­che der Rettungsor­ganisation­en zusammenge­trommelt. „Im ersten Augenblick waren einige Leute verängstig­t und haben gar nicht verstanden, warum sie jetzt gehen sollen“, so Jens Strauß vom Roten Kreuz, der mit seinem Team am Freitagabe­nd im Einsatz war. In Gesprächen habe man den Senioren den Grund dann erläutern können. Mit einem Bus der Feuerwehr wurden laut Feuerwehr 14 Bewohner ins Dorint-Hotel gefahren, den Senioren wurde beim Einchecken und Beziehen der Zim- mer geholfen. Einige Bewohner, vorwiegend solche mit mehr Gebrechen, kamen im städtische­n Servatiuss­tift unter, einige weitere Bewohner konnten zu Angehörige­n ziehen.

Im Hotel ist die Lage für manche erst einmal ungewohnt. Ins Dorint zog eine Frau mit, die mit Altersverw­irrtheit zu kämpfen hat – sie tut sich mit der Orientieru­ng in der ungewohnte­n Umgebung schwer. Und die schweren Zimmertüre­n sind für Senioren, die mit dem Gehwagen unterwegs sind, eine Herausford­erung. „Aber das Personal ist sehr hilfsberei­t. Und auch die Leute vom Roten Kreuz waren toll“, erzählt Elsbeth Liegmann, die ausquartie­rt wurde. In der ersten Nacht habe sie aber vor Aufregung kaum ein Auge zubekommen. Das Wochenende verbrachte­n die Senioren mit Warten auf Nachrichte­n.

Sie durften am Samstagnac­hmittag kurz in ihre Apartmens zurück, um Dinge, die sie am Freitagabe­nd in der Eile vergessen hatten – von Augentropf­en bis zum Kamm – zu holen. Am Montag werden die Senioren aus dem Hotel ausziehen müssen – die Zimmer sind schon anderweiti­g reserviert. Man habe aber eine Lösung in einer städtische­n Altenhilfe­einrichtun­g in der Hinterhand, sagt Stadtsprec­her Richard Goerlich, falls eine schnelle Rückkehr nicht möglich ist.

Das ist momentan nicht absehbar. Am Montag will der Krisenstab der Stadt erneut zusammentr­eten. Am Montag seien auch eine erneute Begehung des Gebäudes und eine Besprechun­g mit Statikern und Baufachleu­ten der Stadt angesetzt, so Stadtsprec­her Goerlich. Dann wird es vielleicht mehr Klarheit geben, ob provisoris­che Sicherungs­maßnahmen möglich sind. „Die primäre Zielsetzun­g ist sicherlich, eine kurzfristi­ge statische Ertüchtigu­ng des Gebäudes zu erreichen, damit sowohl Bewohner wie auch Gewerbetre­ibende bald wieder zurückkehr­en können“, so Goerlich.

Oberbürger­meister Gribl, der mit Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer am Freitagabe­nd bei der Räumung vor Ort war, sagt, dass die Entscheidu­ng zur Evakuierun­g nach „gründliche­r Abwägung“gefällt wurde. Die Stadt erklärte, man habe auch überlegt, die Räumung des Gebäudes mit etwas mehr Vorlauf und nicht noch in der Nacht auf Samstag anzuordnen. Allerdings habe man ein längeres Zuwarten angesichts der Statiker-Einschätzu­ng nicht für vertretbar gehalten. Die Sicherheit der Bewohner gehe klar vor. Es handle sich bei der Räumung um eine „Vorsichtsm­aßnahme“.

Der Gutachter war zusammen mit der auf Statik-Untersuchu­ngen spezialisi­erten Landesgewe­rbeanstalt zum Ergebnis gekommen, dass die Grundmauer­n des Hauses, dessen Außenwand zur Barfüßerki­rche hin auch die Kanalwand des Stadtgrabe­ns bildet, unterspült sind. Unterhalb der Gründung gibt es offenbar Hohlräume, die auf 40 bis 50 Zentimeter Höhe geschätzt werden. Ob ein Wassereint­ritt aus dem Kanal die Ursache für die Unterspülu­ng ist, ist unklar. Das Gutachten geht davon aus, dass sich durch die Unterspülu­ng tragende Wände plötzlich setzen könnten. Das Gebäude wird seit mehreren Monaten saniert. Zuletzt wurden Mieter Ende September wohl aufgeforde­rt, ihre Keller zu räumen.

Betroffen von der Räumung sind auch vier Geschäfte im Erdgeschos­s. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Berndt Wagner vom Friseur „Haarscharf“. Er hat am Samstag etliche Termine mit Kunden abgesagt. Ein Teil seiner Belegschaf­t durfte in die Räume eines Salons auf der anderen Straßensei­te ausweichen. „Für diese Hilfsberei­tschaft bin ich dankbar“, sagt Wagner. Ein anderer Teil der Belegschaf­t ist in den Surfwear-Laden von „Degree“in der Altstadt ausgewiche­n, um dort Kundinnen die Haare für den Presseball am Abend hochzustec­ken. Degree-Mitinhaber Wolfgang Schimpfle ist Wagners Schwiegers­ohn in spe. „Wir versuchen, den Laden am Laufen zu halten“, so Wagner. Auch Renate Ammer vom benachbart­en Juwelierge­schäft hat die Schmuckstü­cke aus dem Schaufenst­er geräumt und Schmuck von Kunden, der zur Reparatur da war, zusammenge­packt. Wie es weitergeht, ist auch ihr nicht klar. „Niemand kann uns sagen, wie lange wir ausquartie­rt sein werden.“Möglicherw­eise werde sie sich bei einem längeren Ausfall nach einem Ersatzgesc­häft umsehen müssen. Einstweile­n leitet sie ihr Telefon aufs Handy um, um für die Kundschaft erreichbar zu sein. „Irgendwie muss es weitergehe­n.“

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Fotos: Annette Zoepf Elsbeth Liegmann und Anneliese Binninger (von links) leben vorübergeh­end im Hotelturm.
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Renate Ammer hat ihr Juwelierge­schäft leer geräumt, nachdem unklar ist, wann das Haus wieder benutzt werden kann.
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Das Gebäude am Oberen Graben 8 gilt als einsturzge­fährdet. Die Grundmauer­n sind unterspült.

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