Wird es leer in den Museen?
Frankreichs Präsident hat die Rückgabe von Kunst aus den Kolonien gefordert. Ein Expertenbericht zeigt jetzt auf, wie dabei vorgegangen werden soll. Warnende Stimmen befürchten unabsehbare Folgen
Paris Die Forderung ist so alt wie die Unabhängigkeit der ehemaligen afrikanischen Kolonien Frankreichs. Lange wurde sie von afrikanischen Intellektuellen oder Politikern geäußert, nie aber von einem französischen Präsidenten. Bis Emmanuel Macron vor einem Jahr in der Hauptstadt von Burkina Faso seine Rede über das Verhältnis Frankreichs zu den einstigen Kolonialstaaten hielt. „Das afrikanische Kulturerbe muss in Paris zur Geltung gebracht werden, aber auch in Dakar, Lagos, Cotonou“, sagte Macron. „Ich will, dass bis in fünf Jahren die Bedingungen für eine temporäre oder definitive Rückgabe des afrikanischen Kulturgutes nach Afrika geschaffen werden.“
Mit einer detaillierten Aufstellung über Art und Ausmaß dieses Kulturerbes wurden die französische Historikerin Bénédicte Savoy, die sowohl am Collège de France in Paris wie an der Technischen Universität Berlin lehrt, und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr beauftragt. Monatelang forschten sie über den Ursprung von Kunstwerken, die sich überwiegend im Pariser Museum für außereuropäische Kunst Quai Branly befinden. Am Freitag wurde ihr Bericht offiziell veröffentlicht, dessen Inhalt einige französische Medien vorab einsehen konnten.
Demzufolge befinden sich 85 bis 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes außerhalb des Kontinents. Deshalb schlagen die beiden Forscher eine Rechtsänderung hinsichtlich des französischen Kulturerbes vor, das eine Rückgabe auf Antrag eines afrikanischen Staates hin ermöglicht. Sie empfehlen bilaterale Abkommen, um Kunstwerke jeweils jenen Staaten auszuhändigen, die heute den damals geplünderten Gebieten entsprechen. „Es geht nicht darum, die einen zu bestrafen und alles den anderen zurückzugeben“, sagen Savoy und Sarr. Aber die afrikanische Jugend habe ein Recht auf ihr Kulturerbe. Die Afrikaner hätten nicht einmal Zugang zur Kreativität ihrer Vorfahren.
Gezählt haben sie rund 90 000 afrikanische Kunstwerke in den nationalen Sammlungen, überwiegend im Museum am Quai Branly. Die meisten der Schmuckstücke und Masken, Statuen oder Kultobjekte stammen aus dem Subsahara-Afrika und gelangten zwischen 1885 und 1960 nach Frankreich, also während der Kolonialzeit. Den Wissenschaftlern zufolge gab es ein regelrechtes System, nach dem über Plünderungen und Diebstähle hinaus Kunstwerke zu Spottpreisen gekauft und dann weitaus teurer wieder verkauft wurden.
Dennoch gelten viele ihrer Vorschläge als „explosiv“, wie es das Wochenmagazin formuliert: Was wird in den Museen bleiben? Werden komplette Bereiche
Le Point
des Quai Branly leer sein? Der Anwalt Yves-Bernard Debie warnt vor einer Infragestellung der Geschichte und des Rechts. Andere befürchten, eine Büchse der Pandora würde geöffnet: Müssten dann nicht auch die vom Italiener Leonardo da Vinci geschaffene Mona Lisa im Louvre oder der aus Ägypten stammende Obelisk auf dem Concorde-Platz in Paris zurückgegeben werden? Marie-Cécile Zinsou, Direktorin der Kunststiftung Zinsou in Benin, weist daraufhin, dass nicht alle afrikanischen Staaten bereits über die erforderlichen Infrastrukturen und Museen verfügten: „Es heißt nicht, dass die Staaten, nur weil die Möglichkeit offen ist, kämpfen werden, um ihre Objekte zu erlangen. Aber der Ball liegt in unserem Feld.“Zunächst aber gilt abzuwarten, inwiefern die französische Regierung den Empfehlungen folgt.