Ernähren wir uns bald alle automatisch gesund?
Unser Essen ist zu salzig, fettig und zu süß und macht deshalb häufig krank. Das will Ernährungsministerin Julia Klöckner ändern. Wie ihre Strategie aussieht und was von ihren Vorschlägen zu halten ist
Augsburg Es gibt fettreduzierte Wurst, Light-Käse und sogar Sahne, die mit ihrem niedrigen Fettanteil wirbt. Auch Müsli wird mit der Aufschrift „weniger süß“verkauft. Doch was sich wirklich dahinter verbirgt, ist oft unklar und manchmal nicht mehr als ein Werbeversprechen. So hat etwa die Verbraucherzentrale Hamburg eine LightTruthahnsalami des Discounters Lidl zur Mogelpackung des Monats Oktobers erkoren. Das Produkt kostete nach Angabe der Verbraucherschützer zwar 33 Prozent mehr, aber im Vergleich zu der OriginalSalami enthielt es mehr Fett und hatte auch mehr Kalorien. Für Jutta Saumweber, die bei der Verbraucherzentrale Bayern das Ernährungsressort leitet, ist das ein typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn man der Lebensmittelindustrie freie Hand lässt. Deshalb begrüßt sie es, dass Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) vergangene Woche ihre Strategie vorgelegt hat, wie sie den Fett-, Zucker- und Salzgehalt von Lebensmitteln reduzieren möchte. Saumweber sagt aber auch: „Diese Strategie hätte schon vor Jahren kommen sollen.“Aber was genau steht in dem Papier?
In Deutschland, wie eigentlich in fast allen Industriestaaten, hat die Zahl der Menschen, die an HerzKreislauf-Krankheiten und Diabetes Typ 2 leiden, stark zugenommen. Gründe dafür sind laut der Weltgesundheitsorganisation vor allem zu wenig Bewegung und unge- sunde Ernährung. Also will Klöckners Landwirtschafts- und Ernährungsministerium das Essen gesünder machen. Der Fokus liegt auf Fertigprodukten, denn die machen etwa 50 Prozent der Produkte aus, die jeder täglich isst. Gemeint sind verarbeitete Lebensmittel, die aus mehr als einer Zutat bestehen und denen Zucker und/oder Fett und/ oder Salz zugesetzt sind. Enthalten diese Lebensmittel weniger Salz, Zucker und Fett, ernähren sich die Deutschen automatisch gesünder – so die Überlegung. Für die Umsetzung hat sich das Ministerium mit Vertretern der Ernährungsindustrie, der Krankenkassen und mit Verbraucherschützern zusammengesetzt und eine Strategie erarbeiten. Herausgekommen ist die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie. Sie sieht Folgendes vor:
Zucker
● Das steht im Papier Die Lebensmittelindustrie muss bis zum Jahr 2025 einen Weg finden, wie sie den Zuckergehalt von Erfrischungsgetränken im deutlichen zweistelligen Bereich senkt. Auch Frühstückscerealien und Milchprodukte wie Fruchtjoghurt oder Quarkspeisen enthalten in den Augen des Ernährungsministeriums zu viel Zucker. In diesen Produkten soll der Zuckergehalt bis 2025 ebenfalls im zweistelligen Bereich sinken. Mit dem Zuckergehalt muss die gesamte Kalorienzahl sinken, schreibt das Papier vor.
● Bewertung Ernährungsfachfrau Saumweber fordert zudem, dass Zu- cker nicht einfach durch andere Süßstoffe ersetzt werden darf. „Die Menschen müssen lernen, weniger süß zu essen“, sagt sie und nennt ein Beispiel: 100 Milliliter Coca Cola enthalten etwas mehr als zehn Gramm Zucker. „Das sind mehr als drei Zuckerwürfel. So viel würde sich niemand in die gleiche Menge Kaffee tun“, sagt Saumweber. Eine Studie der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) hat ergeben, dass Kunden den Geschmack eines Produkts im Schnitt dann noch akzeptieren, wenn der Zuckergehalt um etwa 15 Prozent reduziert wird.
Salz
● Das steht im Papier Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, dass höchstens sechs Gramm Salz am Tag konsumiert werden. Von diesem Wert sind die meisten Deutschen weit entfernt. Ein Grund: Sie essen viel Brot und andere Backwaren. Die wiederum enthalten zu viel Salz. Das Ernährungsministerium sieht nun vor, dass der Salzgehalt in Backwaren bis 2025 signifikant sinkt. Ein genauer Wert wird nicht genannt. Auch das Fleischerhandwerk und die Tiefkühlindustrie haben zugesagt, dass sie an einer Strategie arbeiten, wie sich bis zum Jahr 2025 der Salzgehalt ihrer Produkte signifikant senken lässt.
● Bewertung In der Untersuchung der DLG kam aber heraus, dass die meisten Verbraucher ein Produkt auch dann noch gut finden, wenn der Salzgehalt um bis zu zehn Prozent reduziert wurde. Vor allem die Tiefkühlindustrie argumentiert oft, dass sich der Salzgehalt nicht so leicht senken lasse, weil Salz Lebensmittel länger haltbar macht. Dazu sagt Saumweber: „Wir haben in einer Untersuchung in manchen Tiefkühl-Lasagnen so viel Salz gefunden, das lässt sich nicht mehr mit der Haltbarkeit begründen.“
Fett
● Das steht in dem Papier Während ungesättigte Fettsäuren als gut für die Gesundheit gelten, heißt es über gesättigte Fette oder industrielle hergestellte Trans-Fettsäuren genau das Gegenteil. Deshalb ist es ein Ziel des Ernährungsministeriums, bei gesättigten Fetten und Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln bis zum Jahr 2025 „zu einem aus Wissenschaftssicht akzeptablen Maß zu kommen“.
● Bewertung Das Thema Fett ist problematisch. In der Studie der DLG hat sich gezeigt, dass Verbraucher hier am wenigsten bereit sind, Einbußen hinzunehmen. Der Grund: Weniger Fett macht einen Geschmacksunterschied.
Kindernahrung
● Das steht im Papier Lebensmittel für Kinder sind eines der liebsten Themen von Verbraucherschützern. Sie finden immer wieder Produkte, die sich speziell an Kinder richten, aber viel mehr Zucker enthalten als Lebensmittel für Erwachsene. Das hat auch das Ernährungsministerium erkannt und legt fest: Bis 2025 müssen Lebensmittel für Kinder eine bessere Nährwertzusammensetzung aufweisen als jene für Erwachsene. Der Zusatz von Zucker und anderen süßenden Zutaten in Tees für Säuglinge und Kleinkinder wird bis Ende 2019 verboten. Auch Kleinkindermilch, die extra für Kinder ab einem Jahr ist, soll in den Blick genommen werden. Ziel ist es, den Anteil der Kinder, die bei der Einschulung übergewichtig sind, deutlich zu senken.
● Bewertung Gerade bei Kindern sind Essensvorlieben noch nicht ausgeprägt. Was sie in jungen Jahren essen, bevorzugen sie auch später. Deshalb sollte ihr Essen nicht zu süß sein, mahnen Verbraucherschützer.
Und sonst?
Das staatliche Max Rubner-Institut soll überwachen, dass der Gehalt von Salz, Zucker und Fett tatsächlich sinkt. Das ist auch eine Forderung, die Jutta Saumweber hat. Sie kündigt an, dass auch die Verbraucherzentralen ein Auge darauf haben werden. Zufrieden sind Verbraucher mit Klöckners Papier allerdings nicht. Der Grund: Die Lebensmittelindustrie kann ihre Ziele selbst festlegen. Dazu sagt etwa Oliver Huizinga von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch: „Frau Klöckner ist weiter auf Kuschelkurs mit der Lebensmittelindustrie.“Andere Länder seien sehr viel strenger. Auch Saumweber hält wenig von Selbstverpflichtungen. „Wir haben unsere Forderungen deshalb verschärft. Sollte nichts passieren, brauchen wir auf jeden Fall klare gesetzliche Regelungen“, sagt sie.